Endlich jedoch ist es soweit, alle fiebern dem großen Tag entgegen, der selbstredend unvergesslich sein soll; und das wird er auch.
Drei Filme lang durften die Autoren Michael Vershinin und Marcus Hertneck den Anlauf zum romantischen Finale beschreiben. Das Drehbuch zur vierten und letzten aktuellen "Praxis mit Meerblick"-Tetralogie stammt von Anja Flade-Kruse, die wie die Kollegen ebenfalls schon seit vielen Jahren zum festen Team gehört.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Neben der horizontalen Handlung mit der bevorstehenden Hochzeit von Ärztin Nora Kaminski (Tanja Wedhorn) mit dem Architekten Max Jensen (Bernhard Piesk) geht es in Episode 26 der 2017 gestarteten ARD-Reihe vor allem um die Liebe zwischen Romy (Lilith Jona) und Jonathan (Jona Levin Nicolai). Die Väter der beiden Teenager sind einander in derart inniger Abneigung zugetan, als hätten sie sich vorgenommen, das berühmte Zitat aus dem Schiller-Drama "Wilhelm Tell" jeden Tags aufs Neue zu bestätigen: "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt."
Jonathans Vater Thomas (Thilo Prothmann) scheint mehr oder weniger in den Tag hinein zu leben, kühlt seinen Bierkasten im Gartenpool und würde den Zwist mit Robert (Robert Schupp) am liebsten mit einem gemeinsamen Joint lösen. Romys unentspannter Vater hat vom Drehbuch die deutlich schlechteren Charaktereigenschaften bekommen und lässt sich später gar zu Handgreiflichkeiten hinreißen, die versehentlich sogar Nora schmerzhaft zu spüren bekommt. In diesem Fall ist das Verhalten allerdings nachvollziehbar: Bei einer gemeinsamen Spritztour mit Romys Moped hat Jonathan einen Moment nicht aufgepasst, als ein Traktor auf die Landstraße einbiegen wollte. In seinem Schock hat er den Unfallort verlassen und die bewusstlose Freundin zurückgelassen; Romy ist mit einem Schädel-Hirn-Trauma ins Krankenhaus eingeliefert worden und liegt nun im Koma.
Anders als in den letzten drei Filmen geht es diesmal also nicht um ein medizinisches, sondern um ein kriminalistisches Rätsel, selbst wenn aus Publikumssicht klar ist, um wen es sich bei dem "Täter" handelt. Auch Nora ahnt, dass Jonathan der Fahrer war, als er erheblich lädiert in ihrer Praxis auftaucht. Weil er die Untersuchung abbricht, als sie ihren Verdacht ausspricht, bleibt eine innere Verletzung unentdeckt; und die könnte ihn sein Leben kosten.
Zwischendurch kümmert sich Franziska Hörisch, die schon einige Beiträge für die von Hauptregisseur Jan Růžička geprägte Reihe inszeniert hat, um die weiteren Mitglieder der "Praxis"-Familie: Abgesehen von Braut und Bräutigam sind sämtliche Beteiligten ziemlich aufgeregt, weil sie ihren Teil dazu beitragen wollen, dass die Hochzeit zum schönsten Tag im Leben des Paars wird. Auf diese Weise bekommen alle Mitwirkenden ihre kleinen oder größeren Auftritte. Die einen sind witzig, die anderen emotional: Während sich die Freundin von Noras Praxispartner Stresow unbedingt etwas übergriffig als "Wedding"-Planerin einbringen will, eröffnet Peer Kaminski (Dirk Borchardt) seiner nach wie vor geliebten Ex-Frau, dass er’s nicht übers Herz bringen wird, der Vermählung beizuwohnen. Sehr sympathisch ist auch ein Gastmoment für Lukas Zumbrock, selbst wenn Kaminski-Sohn Kai keine Zeit hat, den vorgezogenen Hochzeitstermin wahrzunehmen.
Und dann ist da ja noch dieser Vorfall aus dem letzten Film, der wie das Schwert des Damokles über Max schwebt und dafür sorgt, dass sein Gesicht lang und länger wird, je näher der Moment der romantischen Strandfeier rückt. Dass die zweite Erzählebene mit der "verbotenen Liebe" für zusätzliche Dramatik sorgt, versteht sich von selbst: Anders als Romys Mutter haben die beiden Väter keine Ahnung von der Beziehung ihrer Kinder, und als rauskommt, wer das Moped gefahren hat, rastet Robert Lang endgültig aus. Immerhin haben die beiden Jugendlichen Helme getragen. Das ist der einzige, aber auch ein nicht unwichtiger Kritikpunkt an der Reihe: Nora Kaminski ist mit ihrer Empathie und ihrer Bereitschaft, alles stehen und liegen zu lassen, wenn Menschen Hilfe brauchen, ein großartiges Vorbild. Das Auto des Kollegen nutzt sie nur in Notfällen, ansonsten ist sie stets mit dem Fahrrad unterwegs; aber leider immer ohne Helm.