Ratingagenturen: Todesstoß für eine schwache Volkswirtschaft

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Die Kriterien der Ratingagenturen und die Gewichtung der Kriterien sind geheim. Ein Analyst nimmt jährlich durchschnittlich 700 Bewertungen vor.
Ratingagenturen: Todesstoß für eine schwache Volkswirtschaft
Ratingagenturen sollen für Orientierung auf den Märkten sorgen. Die Macht ihrer Bewertungen bekamen arme Länder schon vor 30 Jahren zu spüren. Kritiker sehen die Agenturen in einem Geflecht von Eigeninteressen und Dienst an Politik und Wirtschaft.
24.10.2012
epd
Marc Engelhardt

Wenn eine der drei großen Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit eines Staates herabstuft, steht den Regierungen der Angstschweiß auf der Stirn. Die Noten von Standard&Poor's, Moody's und Fitch, die unter sich mehr als neunzig Prozent des Marktes ausmachen, sollen objektiv das Risiko eines Kredits bewerten - die Agenturen sollen unabhängige Schiedsrichter sein. Viele Experten bezweifeln das.

Wie die Logik der Rater funktioniert, lernten als erste einige Entwicklungsländer, die sich in den 1980er Jahren mit großzügig gewährten Bankkrediten für Großprojekte überschuldet hatten. Um für die Rückzahlung ihrer Schulden Geld leihen zu dürfen, mussten sie ihren Kreditgebern - allen voran dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank - strikte Sparprogramme nachweisen, auf Kosten von Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Soziales. Despotische Regime wie das von Mobutu Sese Seko in Zaire (dem heutigen Kongo) erfüllten die Auflagen, verprassten die Kredite und schlugen Proteste der unter dem Spardiktat leidenden Armen blutig nieder.

Insiderhandel und Betrug

Diese Mechanismen haben nach Einschätzung des Wirtschaftswissenschaftlers Werner Rügemer folgenden Grund: "Die Ratingagenturen gehören vor allem Investmentbanken und Hedgefonds, also genau denen, die Interesse daran haben, dass die Zinsen, die sie für ihre Kredite erhalten, möglichst hoch sind." In seinem Buch zum Thema erläutert Rügemer das Geflecht, in das Bewertungsinstitute eingebunden sind. "Die Ratingagenturen sind eng mit Investmentbanken und der Politik verbandelt, ihre Chefs etwa genießen seit langem Beraterstatus im Weißen Haus." 

Die Bewertung von Staaten folgt laut Rügemer wie die Bewertung von Unternehmen der betriebswirtschaftlichen Logik der Investoren und nicht der angemesseneren volkswirtschaftlichen Logik. Auch deshalb halten Experten die Arbeit der Ratingagenturen für besonders heikel, etwa im Hinblick auf Insiderhandel oder Betrug.

Löcher müssen mit teuren Krediten gestopft werden

"Das ist ein für Korruption hoch anfälliges Geschäft", urteilt etwa der Politikwissenschaftler Christoph Prager, der ebenfalls ein Buch über die Macht der Rater geschrieben hat. "Die Verhaltensregeln für Ratingagenturen sind allesamt freiwillig, es gibt kein hartes Recht, das die Ratingagenturen reguliert." Doch auch wenn Ratings nicht aus Geschäftsinteresse manipuliert werden, sind die Folgen der Bewertung, die der Logik der kreditgebenden Banken folgt, für die Kreditnehmer oft katastrophal, wie die Erfahrungen in Entwicklungsländern bereits vor 30 Jahren zeigten. Trotzdem startete das UN-Entwicklungsprogramm noch 2003 ein Programm, in dem es die Kosten für ein Ratingverfahren (mehrere Millionen Euro) übernahm. So sollten ärmste Länder Zugang zu internationalen Bankkrediten erhalten.

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Vor den Folgen warnt allerdings die Entwicklungsorganisation WEED: Im Falle einer deutlichen Abwertung durch die Ratingagenturen wären etwa Hedgefonds nach US-Börsenrecht gezwungen, ihre Investments aus Entwicklungsländern zurückzuziehen. Während dem Staat dadurch Kapital entzogen würde, müsste er das Loch mit Krediten stopfen, für die er wegen des Ratings höhere Zinsen zahlen müsste. Lokale Banken und Unternehmen schließlich müssten - ebenfalls zu höheren Kosten - ihre Kapitaldecke erhöhen. Für eine schwache Volkswirtschaft könnte das den Todesstoß bedeuten - ähnlich wie in Griechenland.

Ein Analyst: 700 Bewertungen jährlich im Schnitt

Werner Rügemer nennt einen weiteren Grund, warum Ratingagenturen reguliert und zumindest teilweise entmachtet werden sollten: sie seien schlicht unfähig, ihre Aufgabe zu erfüllen. So hat der Ökonom berechnet, dass jeder bei einer Ratingagentur beschäftigte Analyst im Schnitt jährlich 700 Bewertungen vornimmt. "Jedes Rating hat zwischen 50 und 400 Seiten, die angeblich tiefen Analysen sind da unmöglich." Überprüft werden können die Ratings nicht, denn die Kriterien und ihre Gewichtung sind geheim.

Trotz aller Kritik sind die Ratingagenturen auf dem Vormarsch. "Derzeit sind sie dabei, sich neue Märkte in Ländern oder Kommunen zu eröffnen: in den USA sehen wir bereits die Folgen, etwa in San Francisco, wo massenweise Schulen geschlossen werden, um die Kreditwürdigkeit der Kommune zu erhalten." In Deutschland seien die drei großen Ratingagenturen gerade dabei, bei den Kämmerern der Kommunen um Aufträge zu werben. Rügemer hofft, dass sie dort auf Ablehnung stoßen.