TV-Tipp: "Kolleginnen: Abgetaucht"

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30. Dezember, ZDF, 21:45 Uhr
TV-Tipp: "Kolleginnen: Abgetaucht"
Die Zeilen von Thomas Brasch erklingen erst gegen Ende, aber eigentlich gehören sie an den Anfang. Das 1977 erschienene Gedicht "Was ich habe, will ich nicht verlieren" schildert die Paradoxie eines Menschen, der eine Existenz im "Aber"-Modus führt: "Die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber die ich kenne, will ich nicht mehr sehen. Wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber wo ich sterbe, da will ich nicht hin. Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin." Damit ist perfekt beschrieben, wie sich der junge Mann fühlt, dessen Entführung die Handlung ins Rollen bringt.

Nikolaus Stahl (Gustav Schmidt) führt ein Dasein im goldenen Käfig. Der junge Milliardenerbe leidet seit einem Überfall in seiner Kindheit unter Angststörungen und hat das perfekt gesicherte Haus nach dem Tod der Eltern vor zwölf Jahren nicht mehr verlassen. Einziger Kontakt zur Außenwelt sind die Begegnungen mit der Anwältin (Hanna Plaß) seines Discounter-Imperiums; sie hat ihm das Leben gerettet, als er sich umbringen wollte. Als Nikolaus ihr eine Mail mit den Forderungen des Entführers schickt, informiert sie nicht die Polizei, sondern einen Spezialisten für solche Fälle.

Was nach einer potenziell interessanten, im Grunde aber nicht untypischen Reihenepisode klingt, entpuppt sich als Krimi, der mehr als sehenswert ist, weil alles passt: Die Geschichte ist abwechslungsreich und steckt voller Überraschungen, die Umsetzung durch die erfahrene Regisseurin Christiane Balthasar und den nicht minder renommierten Kameramann Hannes Hubach ist auch dank des vorzüglichen Zusammenspiel von Musik (Vera Marie Weber) und Schnitt (Andreas Althoff) ausgezeichnetes Handwerk, das Ensemble ist ausnahmslos überzeugend und gut zusammengestellt.

Ungewöhnlich ist jedoch der mitunter heitere Tonfall: Der Stoff an sich ist selbstredend nicht komisch, die Wortwechsel sind auch nicht offenkundig witzig; und dennoch liegt oft ein Zwinker-Smiley unter den Dialogen. Gerade die Gespräche zwischen Kommissarin Irene Gaup (Caroline Peters) und Staatsanwalt Hans Gaup (Götz Schubert) bewegen sich in Hörweite zur romantischen Komödie; erst recht, als der zukünftige Ex-Gatte erfährt, dass Irene mit dem Kidnapping-Experten einst eine Affäre hatte. Der frühere Polizist Carl Hösch (Pierre Besson) war einst ihr Ausbilder und hat den Dienst quittiert, als zwei Entführungsopfer gestorben sind, weil er zu früh den Zugriff befohlen hat. Kein Wunder, dass die Kommissarin zumindest in fachlicher Hinsicht wenig begeistert ist, dass Hösch mitmischt.

"Abgetaucht" ist der dritte Film aus der ZDF-Reihe "Kolleginnen". Der Titel bezieht sich zwar auch auf den Entführer, der sich der am Wannsee gelegenen Villa unter Wasser genähert hat, gilt aber vor allem für Irene Gaups Partnerin. Natalia Belitski war bei den Dreharbeiten verhindert, weshalb sie quasi außer Konkurrenz mitwirkt: Kommissarin Jungklausen hat sich für einige Tage in ein Kloster zurückgezogen, wo sie in aller Ruhe eine wichtige Entscheidung treffen will. Weil sie mit Kontemplation offenkundig wenig anfangen kann, sind die Gespräche mit Schwester Anna (Birge Schade), die sich ihrer annimmt, ebenfalls recht kurzweilig. Die Nonne ist es auch, die Brasch ins Spiel bringt. Als die Polizistin ihre darob gewonnene Erkenntnis telefonisch an die Kollegin weitergibt, fasst Irene Gaup einen Entschluss, der das Finale eröffnet. 

Großen Anteil am hohen Unterhaltungswert hat zudem eine dritte Ebene, und spätestens jetzt wird "Abgetaucht" endgültig ein ungewöhnlicher Krimi, denn unversehens mischen auch drei Kinder mit: Magnus und Jophi (Ezra Finzi, Leonard Vincent Schmiel) wollen auf einer Wannseeinsel angeln, nehmen nicht ganz freiwillig Jophis Cousine Harriet (Greta Helene von Wick) mit und stolpern buchstäblich mitten in das Verbrechen hinein, denn der Entführer hat sein Opfer auf just dieser Insel versteckt.

Das Trio ist perfekt geführt und macht seine Sache prima, zumal Polizistensohn Magnus und die sarkastische Harriet großen Anteil daran haben, dass der Film gegen Ende richtig spannend wird. Außerdem mischt noch ein ziemlich radikaler Vogelschützer mit: Der Mann schießt regelmäßig auf das Flutlicht rund ums Haus von Nikolaus, weil die Festbeleuchtung die Vögel verwirrt. Bernd Hölscher gelingt das Kunststück, diesen wenig sympathischen Zeitgenossen als tragische Figur zu verkörpern.

Weit mehr als bloß "Ersatz-Kollegin" für Belitski ist Petra Hartung, bislang die Nummer drei im Team, die sich als ebenbürtige Partnerin für Caroline Peters erweist. Angesichts dieses Films ist es bedauerlich, dass das ZDF die Reihe nicht fortsetzen will.