TV-Tipp: "Der Barcelona-Krimi: Totgeschwiegen"

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30. November, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Der Barcelona-Krimi: Totgeschwiegen"
Zu den vielen Traumata, die die fast vierzig Jahre währende Herrschaft des faschistischen Franco-Regimes den Spaniern hinterlassen hat, zählen auch die Zwangsadoptionen: Ledigen oder oppositionellen Müttern wurden unmittelbar nach der Geburt die angeblich totgeborenen Säuglinge weggenommen und zur Adoption freigegeben. In Diktaturen ist derlei gängige Praxis. In der DDR wurden die Babys an linientreue Paare vermittelt, in Spanien wurden sie an vermögende Familien verkauft; ein profitables Geschäft, an dem auch die katholische Kirche beteiligt war. Die Adoptivmütter konnten (oder wollten) keine Kinder bekommen, aber als Frauen wurde das von ihnen erwartet.

Bislang haben sich die regelmäßig wechselnden Autorinnen und Autoren der "Barcelona-Krimis" stets mit Themen aus der Gegenwart befasst; in "Totgeschwiegen" geht es auch um die Geschichte des Landes. Das können Xavi Bonet und Fina Valent (Clemens Schick, Anne Schäfer) zunächst selbstverständlich nicht ahnen, als sie die Ermordung einer Nonne aufklären sollen; sie ist während des Gebets in einer Kirche mit einer Garotte erdrosselt worden.

Kurz drauf gibt es ein zweites Opfer, auch diese Frau war ein Ordensmitglied. Parallel zu den Mordfällen wird ein Prozess gegen den früheren Klinikchef Sanchez (Bernd Birkhahn) geführt, der vor fünfzig Jahren maßgeblich an den Zwangsadoptionen beteiligt war; die Nonnen haben in früheren Verhandlungen als Zeuginnen der Verteidigung für den Mann ausgesagt. Offenbar will jemand eine alte Rechnung begleichen.

In der Zusammenfassung klingt die Handlung übersichtlich, aber das Drehbuch zur "Barcelona"-Premiere des Duos Catrin Lüth und Florian Hanig, das auch schon für den "Bozen-Krimi" gearbeitet hat, ist deutlich komplexer. Es trug den Arbeitstitel "Mütter", wobei "Mütter und Töchter" fast noch treffender gewesen wäre: Zunächst wirkt eine Nebenhandlung mit Valents übergriffiger und entsprechend nerviger Mutter Isabel (Andrea Eckert) etwas überflüssig; erst später offenbart der Film, warum auch diese Ebene schlüssig ins allgemeine Bild passt, und das nicht nur wegen ihrer Erinnerungen an die bleierne Franco-Zeit. 

Dass "Totgeschwiegen" mehr als nur ein Krimi sein soll, verdeutlichen zudem mehrere dokumentarisch wirkende Einschübe. Eine der damals vom Kinderraub betroffenen Mütter ist Busfahrerin geworden, weil sie immer gehofft hat, eines Tages würde ihr Sohn einsteigen und sie würden sich gegenseitig erkennen. Stattdessen kommen im Bus Frauen zu Wort, die das gleiche Schicksal erlitten haben. Stumm blicken sie in die Kamera, während sie aus dem Off beschreiben, was ihnen widerfahren ist; eine ebenso ungewöhnliche wie wirkungsvolle Idee, um ihnen eine Stimme zu geben.

Wichtig war natürlich auch die Besetzung der bestohlenen Mütter. Die Schauspielerinnen (darunter Sylvana Krappatsch und Brigitte Karner) sind sehr präsent; Bonet und Valent vermuten, dass eine von ihnen auch für die Ermordung der Nonnen verantwortlich ist. Als Sprecherin jener Menschen, die als Baby ihrer Mutter weggenommen wurden, fungiert gewissermaßen eine bekannte Fernsehjournalistin (Bibiana Beblau), die über den Menschenraub und den Prozess gegen berichtet.

Endgültig zu einem besonderen Film nicht nur innerhalb der Reihe wird "Totgeschwiegen" durch die optische Umsetzung. Regie führte Andreas Herzog ("Der Metzger", 2015), dessen Werke meist mehr als sehenswert sind. Zuletzt hat er unter anderem den preisgekrönten Vierteiler "Die Toten von Marnow" (2021, ARD) gedreht; seine Beiträge zu Krimireihen wie "Usedom" oder "Unter Verdacht" waren gleichfalls regelmäßig von bemerkenswerter Qualität. Neben dem Drehbuch und dem ausnahmslos gut geführten Ensemble ist Ralf Noacks Kamera- und Lichtarbeit ein weiteres Element, das Herzogs erste "Barcelona"-Episode herausragen lässt. Gerade die Lichtsetzung ist von großer Sorgfalt. Die Kirchenszenen werden oft nur durch Kerzen illuminiert, und es ist selbstredend kein Zufall, wenn ein Gesprächspartner vorzugsweise im Schatten steht.

Ungewöhnlich ist auch die Musik von Conrad Oleak; das oftmals wenig melodische Hintergrundrauschen hat ebenfalls Anteil an der Grundstimmung des Films, der selbst im Sonnenlicht kühl wirkt. Dass ein Klavierstück einen allerdings erst im Rückblick erkennbaren Hinweis auf die Lösung andeutet, ist ein weiterer Beleg für die Sorgfalt auch im akustischen Detail, mit der dieser Film gestaltet worden ist. Der doppelte Epilog beschert der zudem an sehr reizvollen Schauplätzen gedrehten Geschichte ein Ende, das die Handlung fortwirken lässt.