TV-Tipp: "Versunkene Gräber"

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27. November, ZDF, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Versunkene Gräber"
Eine Frau schlägt die Augen auf, stellt fest, dass sie neben einer Leiche liegt, kann sich aber an nichts erinnern und ergreift die Flucht: Vermutlich hatte Stefanie Stappenbeck ein Déjà-vu, als sie den Drehbuchauftakt zu "Versunkene Gräber" gelesen hat, denn auf exakt die gleiche Weise beginnt "Der 7. Tag" (2017). In dem Thriller von Roland Suso Richter spielte sie eine Frau, die von der Polizei als Gattenmörderin gesucht und von einem Killer gejagt wird.

Der Vernau-Krimi ist weit weniger spannend, aber das galt bislang für so gut wie alle Verfilmungen der Romane von Elisabeth Herrmann über den Berliner Anwalt, den Jan Josef Liefers mitunter allzu verwechselbar verkörpert: Die erste Szene des Juristen, der vor einem Toilettenspiegel seinen Auftritt als Verteidiger übt, könnte auch aus einem "Tatort" aus Münster stammen. 

Dass die 2012 gestartete Reihe selbst nach acht Filmen immer noch nicht rundum überzeugt, hat allerdings andere Gründe. Herrmanns Romane sind stets komplex, erzählen oft von familiären Tragödien und führen gern in die Vergangenheit, weshalb es regelmäßig großen Erklärungsbedarf gibt. Wenn es gelingt, die vielen Informationen flüssig zu integrieren, sind die Ergebnisse ähnlich sehenswert wie zuletzt "Düstersee", aber diesmal muss Vernau mehrfach die Zusammenhänge erläutern.

Die eigentliche Geschichte beginnt im Frühjahr 1945, als Walther von Hagen, ein deutscher Adeliger, der im heutigen Polen ein Weingut besitzt, seine Familie angesichts der näher rückenden Roten Armee in Sicherheit schickt. Knapp achtzig Jahre später meldet ein unehelicher Nachkomme Besitzansprüche an; es handelt sich um den Mann, den Vernaus Kanzleipartnerin Marie-Luise (Stappenbeck) in der Kapelle des polnischen Anwesens erschlagen haben soll. Da ein Einheimischer (Adrian Topol) sie als Zeuge belastet, wird sie nun mit internationalem Haftbefehl gesucht. 

Die Handlung ist allerdings weitaus umfangreicher, zumal im Hintergrund kräftig gekungelt wird: Rund um das heruntergekommene Weingut ranken sich allerlei Begehrlichkeiten; längst lauern deutsche Heuschrecken darauf, hier einzufallen. Außerdem ist angeblich irgendwo auf dem weitläufigen Gelände der nicht näher bezeichnete Familienschatz derer von Hagen versteckt. Den Schlüssel zu den Reichtümern hat Walther einst seinem kleinen Sohn Helmfried anvertraut. Um das Geheimnis des verlorenen Schatzes zu ergründen, bittet der Anwalt die beste Freundin seiner Mutter und ihren Geliebten, verdeckt in der luxuriösen Seniorenresidenz zu ermitteln, in der Helmfried mittlerweile lebt.

Die heitere Note, die Carmen-Maja Antoni und Winfried Glatzeder als "Undercover"-Duo in den Film bringen, passt allerdings ebenso wenig zu den ernsten Begleitumständen wie die "stille Disco", bei der die alten Herrschaften zu Sechziger-Hits aus dem Kopfhörer tanzen. Die Party ist ohnehin überflüssig und nur dazu da, um einen weiteren Heimbewohner (Reiner Schöne) einzuführen, der ein wichtiges Puzzlestück zur Lösung des Rätsels beiträgt.

Josef Rusnak hat die Vernau-Krimis nach dem Tod von Carlo Rola übernommen, "Versunkene Gräber" ist seine vierte Inszenierung; mittlerweile schreibt er zudem die Drehbücher allein. Allerdings hat auch er der Reihe nicht zu durchgehender Qualität verhelfen können: "Totengebet" (2019) war sehenswert, "Requiem für einen Freund" (2021) durchwachsen, "Düstersee" (2023) wieder gut. Diesmal sorgt der Regisseur, dessen Beiträge zu "Neben der Spur" (ZDF) ebenfalls kein einheitlich hohes Niveau hatten, zudem für handwerkliche Irritationen.

Dass Vernaus Berliner Auto auf dem Weg nach Polen plötzlich ein Kennzeichen des brandenburgischen Landkreises Teltow-Fläming ("TF") trägt, ist ein Fehler, bei dem die Beteiligten noch hoffen könnten, er möge nicht auffallen, aber dass die Fahrten wie eine schlecht gemachte Rückprojektion aus den Fünfzigerjahren wirkt, ist eines Fernsehfilms mit diesem Anspruch nicht würdig. 

Sehenswert ist dagegen die Bildgestaltung (Clemens Majunke). Das Kerzenlicht beim Auftakt in der Kapelle ist ebenso kunstvoll wie Marie-Luises anschließende Flucht bei Nacht und Nebel. Die Musik von Mario Grigorov ist ohnehin großes Kino. Die Besetzung der Episodengäste ist zwar gleichfalls interessant, aber dem Film fehlt nicht nur dramaturgisch ein Gegenspieler auf Liefers’ Augenhöhe, selbst wenn die Szenen mit Marta Sroka als attraktive Anwältin des Tatzeugen für einen gewissen Kitzel sorgen.  Bei der gemeinsamen Polka macht die Polin ohnehin eine weitaus bessere Figur als der deutsche Kollege.