TV-Tipp: "Solo für Weiss: Liebeswut"

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6. November, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Solo für Weiss: Liebeswut"
Vermutlich war die Entstehungsgeschichte eine andere, aber die achte Episode mit Anna Maria Mühe als Zielfahnderin des LKA Kiel wirkt wie eine Auftragsarbeit: "Mathias, schreib’ doch mal einen Krimi über häusliche Gewalt."

Es gäbe allerdings auch eine alternative Genese für "Liebeswut", und die wäre als Erklärung ungleich reizvoller als die These vom Themenfilm. Bei ihrer Premiere ("Das verschwundene Mädchen", 2016) hat Nora Weiss einen Alptraum erlebt: Auf der Fährenfahrt von Riga nach Lübeck ist ihre neunjährige Patentochter Daina spurlos verschwunden. Im damaligen gemeinsamen Drehbuch von Thomas Berger und Mathias Klaschka, der seither bis auf eine Ausnahme an allen Episoden mindestens beteiligt war, wurde bereits deutlich, was die Ermittlerin auszeichnet: Sie hat sich beruflich auch dann perfekt unter Kontrolle, wenn sie persönlich betroffen ist, weil sie in der Lage ist, ihre Emotionen auszublenden und sich zu hundert Prozent auf die Ermittlungen zu konzentrieren. Diese Fähigkeit kommt ihr in "Liebeswut" zwischenzeitlich abhanden: Die Suche nach einem kleinen Mädchen konfrontiert sie mit dem traumatischen Erlebnis, weshalb die sonst so kühle Kommissarin bei der Vernehmung eines Verdächtigen prompt eine rote Linie überschreitet.

Diese Ebene ist fesselnd und bewegend, zumal Gunnar Fuß (Regie und Kamera) in seiner zweiten Arbeit für die Reihe regelmäßig und sehr wirkungsvoll flashbackartige Ausschnitte aus dem damaligen Film einsetzt. Der Handlungskern sieht jedoch zu sehr nach Reißbrett und Fallstudie aus, selbst wenn der Auftakt clever mit der Hauptfigur verknüpft ist. "Liebeswut" beginnt mit einer in die heimeligen Farbtöne einer Rückblende getauchten Geburtstagsfeier. Als die Klänge des Paul-Anka-Klassikers "Put your Head on my Shoulder" raffiniert in ein eigens für den Film komponiertes Lied übergehen, deutet sich bereits an, dass die Fröhlichkeit ein abruptes Ende nehmen wird: Parallel zum Fest beendet Nora nach einem anstrengenden langen Arbeitstag einen Bericht, setzt sich übermüdet ins Auto und fährt eine Frau an, die eben noch Gast auf der Feier war und sich nun blutend und mit letzter Kraft über eine Fußgängerbrücke auf die nächtliche Straße geschleppt hat.

Der Einstieg weckt erfolgreich die Neugier, aber dann wird die Geschichte allzu schematisch, als sich rausstellt, dass Corinna Gerster (Brigitte Zeh) offenbar jahrelang von ihrem Mann geschlagen worden und schließlich mit ihrer kleinen Tochter in ein Frauenhaus geflüchtet ist. Die Leiterin (Clelia Sarto) erzählt nun all’ die Dinge, die im Zusammenhang mit dem Thema von Belang sind. Umso seltsamer, dass Klaschka sie nicht auch die Femizid-Statistik erwähnen lässt: Jeden dritten Tag wird hierzulande eine Frau von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner ermordet. Eine Nachbarin (Winnie Böwe) sagt einen für familiäre Missstände typischen Satz: Die Gersters "schienen immer ganz glücklich zu sein, aber wer weiß schon, was hinter verschlossenen Türen so abläuft." Der Lübecker Kripo-Kollege Ben Salawi (Camill Jammal) hat keinerlei Zweifelt, dass der anscheinend untergetauchte Thomas Gerster für die lebensgefährlichen Stichwunden in Corinnas Körper verantwortlich ist. Für Nora ist der Fall jedoch längst nicht so klar, zumal es mit einem Kollegen Corinnas, der aufgrund ihrer Anzeige wegen Verführung einer Schülerin seinen Job verloren hat, einen weiteren dringend Tatverdächtigen gibt. Viel mehr beschäftigt die LKA-Beamtin allerdings das Schicksal des Mädchens. Bilder einer Überwachungskamera belegen, dass Corinnas Tochter im Auto saß, als die beiden das Fest zu Ehren der Großmutter verlassen haben; aber nun ist das Kind wie vom Erdboden verschluckt. 

Ein weiterer Handlungsstrang hat mit dem Fall rein gar nichts zu tun: Noras Chef und Ex-Geliebter (Peter Jordan) hat eine neue Freundin. Sarah Rothe (Alexandra Gottschlich) entpuppt sich als Kollegin aus Abteilung für Wirtschaftskriminalität, was zu einem ziemlich peinlichen Moment führt; das könnte noch heiter werden, wenn die beiden Frauen mal kooperieren müssen. Nicht frei von Spannungen ist auch die zweite Zusammenarbeit mit Salawi, zumal sich der Kripo-Kommissar noch nicht an Noras brüske Art gewöhnt hat. Anders als in "Todesengel" (2022), erster gemeinsamer Fall des Duos und die "Solo"-Premiere von Fuß, ist die Bildgestaltung diesmal eher gewöhnlich. Die einzige optisch auffällige Einstellung ist ein eindrucksvoller Effekt, als sich Nora im Waschbeckenraum der LKA-Toilette unendlich oft gespiegelt sieht. Ansonsten zeigt Fuß seine Heldin viel zu oft beim Autofahren.