Kabinett beschließt Selbstbestimmungsgesetz

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Mit dem Beschluss des Selbstbestimmungsgesetzes reagiert die Politik auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, wonach die sexuelle Identität Teil der freien Entfaltung der Persönlichkeit und damit grundgesetzlich geschützt sei.
Trotz Kritik aus Opposition
Kabinett beschließt Selbstbestimmungsgesetz
Bei Gesellschafts-Themen ist die Ampel-Koalition einig. Die zuständigen Kabinettsmitglieder verteidigen das Selbstbestimmungsgesetz gegen Kritik. Trans- und intergeschlechtlichen Menschen wird es erleichtert, den Geschlechtseintrag ändern zu lassen.

Die Bundesregierung hat das Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht. Das Kabinett beschloss am Mittwoch in Berlin einen Gesetzentwurf von Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht binären Menschen wird es damit erleichtert, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern zu lassen.

Künftig reicht eine entsprechende Erklärung beim Standesamt, ob der Geschlechtseintrag "männlich", "weiblich" oder "divers" lauten soll.

Paus sagte im Anschluss an die Kabinettssitzung, das Grundgesetz garantiere die freie Entfaltung der Persönlichkeit: "Wer ich bin, das weiß nur ich selbst. Das gilt auch für die geschlechtliche Identität." Darüber selbstbestimmt entscheiden zu können, sei ein Menschenrecht. Buschmann warb für einen besonnenen Umgang mit den Änderungen. Es gehe um eine kleine Gruppe von Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht mit ihrer sexuellen Identität übereinstimme.

Bestehendes Verfahren "entwürdigend"

Das Selbstbestimmungsgesetz löst das seit mehr als 40 Jahren gültige Transsexuellengesetz ab, das das Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt hat. Nach geltendem Recht ist eine Änderung des Geschlechtseintrags nur durch einen gerichtlichen Beschluss möglich, der eine Begutachtung durch zwei Sachverständige voraussetzt. Die Betroffenen schildern das Verfahren als entwürdigend.

Künftig melden die Menschen drei Monate vor der eigentlichen Abgabe ihre Erklärung beim Standesamt und die künftigen Vornamen an. Sie versichern, dass die Streichung oder die Änderung ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht. Die Erklärung gilt sofort nach der Abgabe.

Minderjährige ab 14 Jahren sollen mit Zustimmung der Eltern oder eines Familiengerichts die Erklärung zur Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags abgeben können. Für Kinder unter 14 Jahren können die Eltern eine Erklärung zum Geschlechtswechsel abgeben. Buschmann versicherte, bei einem verantwortungslosen Umgang von Eltern mit dieser Regelung habe der Staat Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.

Kritik von Seiten der Union

Demgegenüber wirft die Union der Ampel-Koalition vor, den Kinder- und Jugendschutz zu schwächen. Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Silvia Breher (CDU), erklärte, die Ampel ignoriere die Bedenken von Medizinern, die davor warnten, dass Jugendliche in der Pubertät voreilige Entscheidungen treffen könnten. Außerdem würden ihre Eltern in eine schwierige Lage gebracht, etwa wenn sie sich über die Zustimmung zum Geschlechtswechsel nicht einigen könnten.

Der erste Entwurf des Gesetzes war in einigen Punkten noch geändert worden. So ist nun auf Drängen des Innenministeriums sichergestellt, dass sich niemand durch eine Änderung des Geschlechtseintrags einer Strafverfolgung entziehen kann. Das Selbstbestimmungsgesetz soll laut Entwurf im November 2024 in Kraft treten. Die endgültige Entscheidung liegt beim Bundestag.

Der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, sprach von einem historischen Tag und forderte, das Gesetz solle früher in Kraft treten. Die Betroffenen hätten lange darauf warten müssen. In einer "feministischen Petition" forderten über 300 Frauenhäuser und Verbände, die sogenannten Misstrauensparagrafen aus dem Selbstbestimmungsgesetz zu streichen.

Evangelische Frauen zeigen sich solidarisch

Darunter auch Eske Wollrad, Geschäftsführerin des Vereins der Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD). Laut Wollrad begrüße ihr Verein das Selbstbestimmungsgesetz, "denn das Geschlechtsempfinden eines jeden Menschen muss ernst genommen werden." Schon im Herbst 2022 habe der Dachverband ein Positionspapier verabschiedet, das die Aufhebung der sozialen und rechtlichen Diskriminierung von trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen fordere. "Das Eintreten für Geschlechtergerechtigkeit heißt für uns evangelische Frauen auch, dass wir uns gegen jede Form von Transfeindlichkeit stellen – auch wenn sie aus feministischen Reihen kommt. Für uns sind trans Frauen Frauen", teilt Wollrad mit.

Die evangelische Kirche sei gefordert, zum einen bezüglich einer klaren Absage an jedwede Transfeindlichkeit, zum anderen theologisch in der Bejahung der Würde aller trans Menschen als geschaffen zu Gottes Ebenbild. Den Evangelischen Frauen zufolge hat Kirche die Aufgabe, Menschen in der häufig vulnerablen Phase der Transition zu begleiten und Schutzräume zu schaffen, betont die Geschäftsführerin.

Doch auch Wollrad übt Kritik am vorliegenden Kabinettsentwurf, da er Vorschriften enthalte, die Misstrauen schürten. Im jetzt vorliegenden Entwurf gehe das Gesetz auf Befürchtungen ein, die die Verbände wie die EFiD für transfeindlich halten, etwa, dass ein Mann sich unter dem Vorwand, eine Transfrau zu sein, Zugang zur Frauensauna verschafft.

Dagegen steht das Hausrecht, wonach die Geschäftsführung einzelnen Personen den Zugang verweigern kann. Sportvereine können weiterhin selbst entscheiden, welche Personen für welche Wettkämpfe starten.

Wie viele trans- und intergeschlechtliche sowie nicht binäre Menschen in Deutschland leben, ist nicht bekannt. Schätzungen zufolge können es einige Zehntausend sein. Einen Anhaltspunkt bieten die Verfahren nach dem Transsexuellengesetz: 2021 haben rund 3.200 Menschen ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. Die Zahlen sind seit den 2010er Jahren gestiegen.