"Arm sein ist ein Vollzeitjob"

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Laut Eberhard Haußmann müsse die Politik dafür sorgen, "dass die Leute zu dem kommen, was ihnen zusteht".
Diakonie fordert Sozialberatung
"Arm sein ist ein Vollzeitjob"
Die Resignation in der Bevölkerung nimmt nach Beobachtung von Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen, weiter zu. Denn viele kämen auch mit zwei Jobs auf keinen grünen Zweig, sagte Haußmann bei einem Pressegespräch am Freitag in Esslingen am Neckar. Sie fühlten sich von der Politik abgehängt und nicht gehört.

Haußmann arbeitet seit knapp 25 Jahren mit sozial benachteiligten Menschen. "Arm sein ist ein Vollzeitjob", habe ein von der Diakonie beratener Mann gesagt, weil er neben der Jagd nach günstigen Lebensmitteln ständig mit Anträgen und Formularen beschäftigt sei und es mit vielen verschiedenen Stellen zu tun habe.

Durch die Aufsplitterung nähmen viele Menschen Leistungen gar nicht in Anspruch, sagt Haußmann - entweder weil sie ihre Rechte nicht kennen oder an der Bürokratie und digitalen Zugangshürden scheitern. Die Politik müsse dafür sorgen, "dass die Leute zu dem kommen, was ihnen zusteht". Die Frage sei offen, ob es womöglich politisch gewollt sei, dass gar nicht alle Leistungen abgerufen würden. Nötig seien ähnliche, eine Übersicht gewährende Beratungsstrukturen wie in der "unabhängigen Pflegeberatung".

Solche Sozialberatung leisten bisher die Diakonischen Bezirksstellen, finanziert aus Kirchensteuermitteln. Reinhard Eberst, Leiter des Diakonischen Grunddienst im Kreisdiakonieverband Esslingen, berichtete von einer alleinerziehenden Mutter, die sich und ihre vier Kinder jahrelang mit 1.800 bis 1.900 Euro netto durchgebracht habe. Außer dem Kindergeld habe sie keinerlei Sozialleistungen in Anspruch genommen. Erst als es wegen der steigenden Energiekosten absolut nicht mehr ging, kam sie Hilfe suchend zur Diakonie.

Durch die steuerpflichtige Energiepauschale von 300 Euro hatte die Evangelische Kirche in Württemberg im Vorjahr mehr Steuern eingenommen, dieses Geld ging zur "Energiekostenhilfe" an die Diakonischen Bezirksstellen und wurde dort mit Spenden aufgestockt. Viele Menschen könnten aktuell die hohen Nachzahlungen für 2022 nicht tragen, sagt Haußmann. "Wir haben als Energiekostenhilfe bereits 45.000 Euro ausgeschüttet."