TV-Tipp: "Der Waldmacher"

© Getty Images/iStockphoto/vicnt
7. Juni, BR, 22:45 Uhr
TV-Tipp: "Der Waldmacher"
Es klingt wie ein Märchen: In den frühen Achtzigerjahren reist der junge Australier Tony Rinaudo nach Westafrika, um dort mit Hilfe von Wiederaufforstung die Ausbreitung der Wüste zu stoppen. Nach zweieinhalb Jahren verlässt ihn der Mut: Die meisten Setzlinge sind eingegangen. Aber dann findet er zufällig heraus, dass die Lösung die ganze Zeit zum Greifen nah war.

Was Tony Rinaudo für vereinzeltes Buschwerk hält, ist der sichtbare Teil eines weit verzweigten unterirdischen Wurzelsystems; ein schlummerndes Kraftwerk. Die Bäume mussten nur die Chance bekommen, aus dem Boden zu wachsen, und dafür hat Rinaudo gesorgt. Seither widmet der Agrarwissenschaftler einen großen Teil seiner Lebenszeit dem Projekt "Farmer Managed Natural Regeneration": Er bringt Einheimischen bei, wie sie der Natur helfen können, sich zu regenerieren. 

Die Argumente sind einleuchtend: Baumbewuchs verhindert, dass Starkregen die fruchtbare Erde wegspült und der Boden austrocknet. Der Schatten der Blätter kühlt die Saat, das herabgefallene Laub wird zu Humus; Fachleute sprechen von Agroforstwirtschaft. Auf diese Weise konnten allein in Niger sechs Millionen Hektar wieder begrünt werden; im Grunde ein Wunder. 2018 ist Rinaudo mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden, dadurch wurde Volker Schlöndorff auf ihn aufmerksam.

Der mit allen wichtigen deutschen Filmpreisen sowie der "Goldenen Palme" und dem "Oscar" für "Die Blechtrommel" geehrte Filmemacher hatte noch nie einen Dokumentarfilm gedreht, aber es war ihm ein Anliegen, den Australier zu ehren. Sie trafen sich zu einem ersten Gespräch und dann in Afrika. "Der Waldmacher" ist jedoch mehr als eine Hommage an das Lebenswerk des Wissenschaftlers, denn der mittlerweile 83 Jahre alte Schlöndorff nutzt die Gelegenheit, um über die Situation in Niger, Ghana und Mali zu informieren. Natürlich haben andere das auch schon gemacht, und der mit diversen Verdienstorden und Ehrenpreisen versehene Regisseur hat das Genre des Dokumentarfilms beileibe nicht neu erfunden; aber dank seiner Bekanntheit und seines Ansehens kann er dem Thema deutlich mehr Aufmerksamkeit verschaffen. 

Schlöndorff bezeichnet sein Werk ausdrücklich als "Film-Essay". Ähnlich wie Spielfilme folgen auch Dokumentarfilme in der Regel einer bestimmten Dramaturgie. Ein Essay darf jedoch mäandern, und das tut "Der Waldmacher" auch, zumal Schlöndorff mehrere Kurzfilme afrikanischer Filmemacher integriert hat, die er "Postkarten aus Afrika" nennt. Dazu gehört zum Beispiel ein Stück über Köhlerinnen. Aus europäischer Sicht graben sich die Einheimischen letztlich buchstäblich das Wasser ab, wenn sie ganze Wälder roden, um aus Ästen, Stämmen und Wurzeln Holzkohle zu machen, die wegen ihres besonderen Duftnote im arabischen Raum sehr beliebt ist; aber das ist oft die einzige Möglichkeit, um überhaupt einen Lebensunterhalt zu verdienen. 

Kein Wunder, dass Schlöndorff im Verlauf der Dreharbeiten feststellte, dass ihn die Menschen eigentlich viel mehr interessierten als die Bäume; also lässt er sie immer ausführlicher zu Wort kommen. So schlägt er schließlich auch die Brücke nach Europa: Viele Kinder haben ihre Väter nie kennen gelernt, weil die schon vor Jahren übers Mittelmeer gereist sind, um in Spanien, Frankreich oder Deutschland Arbeit zu suchen und so ihre Familie zu unterstützen. Der Regisseur erinnert in dem Zusammenhang an die Situation im Europa des 19. Jahrhunderts, als die Bauern zu Hunderttausenden in die "Neue Welt" auswanderten, weil die heimische Scholle sie nicht mehr ernährte. Tatsächlich gibt es in über zwei Dritteln der Dörfer, dort also, wo nach wie vor die meisten Afrikaner leben, kein fließendes Wasser, von Strom ganz zu schweigen.

Die Bevölkerung, bringt es Schlöndorff plakativ, aber zutreffend auf den Punkt, verbringt ihr halbes Leben in Dunkelheit: vom Sonnenuntergang um 18 Uhr bis zum Sonnenaufgang um 6 Uhr morgens. In der Agroforstwirtschaft sehen er und Rinaudo den Schlüssel zur die Rettung des Kontinents, vorausgesetzt, die Fehler der Vergangenheit werden rückgängig gemacht. Das gilt nicht nur für die Rodung ganzer Landstriche, sondern auch für die Einführung der Intensiv-Landwirtschaft, die verheerende Folgen hatte; unter anderem musste die sowohl als Nahrung wie auch als Heilmittel verwendete einheimische Hirse dem Mais weichen. Schlöndorffs Film macht Hoffnung für diesen riesigen Kontinent in Europas Nachbarschaft, über den wir beschämend wenig wissen.