TV-Tipp: "Tatort: Game Over"

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21. Mai, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Game Over"
Größer könnte der Kontrast kaum sein: eben noch frenetischer Jubel in der Halle, als hätte das Basketball-Team des FC Bayern gerade die Deutsche Meisterschaft gewonnen; kurz drauf ein kaltblütiger Mord auf offener Landstraße, als eine junge Polizistin einen Autofahrer auf sein defektes Rücklicht hinweisen will.

Die anschließende Titeleinblendung wirkt zynisch und deplatziert, aber "Game Over" bezieht sich auf das Thema dieses vom ersten Moment an packenden Krimis: Der Münchener "Tatort" mit der Laufnummer 93 spielt in der Gamer-Szene. Der eigentliche Clou ist jedoch ein anderer, denn die Ermittlungen führen das Duo Leitmayr und Batic (Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec) mitten hinein in die eigenen Reihen: Alles deutet darauf hin, dass es sich beim Mörder der Polizistin um einen Kollegen handelt. 

Filme und Serien nach Vorlagen des erfahrenen Autorenduo Stefan Holtz und Florian Owersen sind in der Regel stets sehenswert. Ihr Krimi "Die letzte Wiesn" (2015, Regie: Marvin Kren) war laut Bayerischem Rundfunk der erfolgreichste Münchener "Tatort" der letzten 25 Jahre; für die Miniserie "Die Ibiza Affäre" (Sky) haben sie im letzten Jahr den Grimme-Preis bekommen. Regisseur von "Game Over" war Lancelot von Naso, der unter anderem für das ZDF die sehenswerte Reihe "Kommissar Marthaler" mit Matthias Koeberlin geschrieben und inszeniert hat; zu Beginn des Jahres hat Sat.1 seine aufwändige Hochspannungs-Thrillerserie "Blackout" gezeigt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die erste Zusammenarbeit dieses Trios, und sie werden nicht enttäuscht: Der Krimi ist der packendste "Tatort" aus München seit dem Terror-Thriller "Unklare Lage" (2020), selbst wenn es anders als dort nicht um eine Bedrohung, sondern um klassische Aufklärungsarbeit geht. 

Gelungen ist auch die Gratwanderung des Drehbuchs: Das Sujet bringt zwangsläufig viele Fachsimpeleien über Online-Spiele mit sich. Der größte Teil zumindest des älteren ARD-Publikums dürfte davon keine Ahnung haben, aber den beiden Grauköpfen geht es selbstredend nicht anders. Zum Glück ist Hilfe ganz nah. Der junge Kollege Calli (Ferdinand Hofer) kennt sich nicht nur aus, er entpuppt sich auch als großer Bewunderer jenes jungen Mannes, der im Prolog gefeiert wird: Oskar Weber (Yuri Völsch) ist drauf und dran, zum neuen Star der Szene zu werden. Er trägt schließlich entscheidend dazu bei, die Klarnamen der Verdächtigen herauszufinden; aber dann stellt sich raus, dass er selbst in den Fall verwickelt ist.

Gut integriert ist auch das Unbehagen vieler Eltern angesichts der Begeisterung ihrer Sprösslinge für das Killerspiel "Counter-Strike": Oskars Vater (Oliver Wnuk) unterstützt den minderjährigen Jungen, wo er nur kann, zumal sich als Profi im eSport viel Geld verdienen lässt; die Mutter (Marie Burchard) meldet ihn jedoch kurzerhand vom Turnier ab, obwohl er das Finale erreicht hat. 

Auch auf der Krimi-Ebene ist das Drehbuch äußerst reizvoll: Als das ausgebrannte Fahrzeug des Mörders gefunden wird, entdecken die Beamten im Kofferraum eine völlig verkohlte Leiche. Es handelt sich um einen Gamer, der es zu einem verblüffenden Bitcoin-Reichtum gebracht hat. Seine Schwester Verena (Lea van Acken) hat keine Ahnung, woher das Geld stammt, aber offenbar ist das Vermögen der Grund dafür, dass er gefoltert und schließlich ermordet worden ist. Er gehörte zu einem "Counter-Strike"-Team, das sich "Munich Sheriffs" nannte, weil viele Mitglieder Polizisten sind. Einen der Männer hat Verena mal bei ihrem Bruder gesehen, aber als Leitmayr ihn befragen will, findet er nur noch seine Leiche. 

Gerade auch dank der oftmals reportageartigen Bildgestaltung durch Kameramann Peter von Haller wirkt "Game Over" aufwändiger als ein gewöhnlicher "Tatort". Die Mörderjagd beim "Counter-Strike"-Finale in einer vollbesetzten Arena war logistisch garantiert nicht einfach umzusetzen. Der Film ist in Zusammenarbeit mit Munich eSports entstanden; Vereinsmitglieder haben die Spieleszenen geliefert und auch als Komparsen mitgewirkt. Die mitreißende rockige Musik (Martina Eisenreich) rundet den Krimi zu einem enorm intensiven, herausragenden "Tatort" ab.

Dass Leitmayr und Batic angesichts der Betroffenheit über den Mord an der Kollegin diesmal auf ihre gewohnten Frotzeleien verzichten, ist nachvollziehbar. Für Auflockerung sorgt zum Ausgleich der aus dem letzten Film ("Hackl") übrig gebliebene Dackel, der Leitmayr nicht mehr von der Seite weicht; eine sympathische Referenz an den Urahn des "Tatort" aus München, Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer), und seinen Dackel Oswald.