TV-Tipp: "Theresa Wolff: Der schönste Tag"

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6. Mai, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Theresa Wolff: Der schönste Tag"
In der ARD-Freitagsreihe "Praxis mit Meerblick" ging es kürzlich um ein zehnjähriges Mädchen, das als "Leon" auf die Welt gekommen ist, mit vier Jahren aber den Namen Lea gewählt hat ("Dornröschen").

Die dritte "Theresa Wolff"-Episode mit Nina Gummich als Jenaer Rechtsmedizinerin erzählt, wie so eine Geschichte weitergehen kann, wenn auch mit anderem Vorzeichen: Ein junger Mann ist mit dreistündiger Zeitverzögerung gestorben; nach einem Schlag auf den Kopf hat sich unter der Schädeldecke ein Hämatom gebildet, das schließlich zum Zusammenbruch führte. Der BWL-Student heißt Patrick Kempter (Rafael Gareisen), aber auf dem Sektionstisch erlebt die Ärztin eine Überraschung: Für seinen verwitweten Erzeuger heißt er nach wie vor Manuela; nach der Geschlechtsumwandlung wollte der Vater keinen Kontakt mehr zu seinem Kind. 

Die Szene mit dem Abschied für immer ist bitter, aber sie verdeutlicht, mit welcher Sorgfalt Hansjörg Thurn, Carl-Christian Demke (Buch) und Regisseur Bruno Grass – das Trio hat auch die letzte "Theresa Wolff"-Episode ("Waidwund", 2022) verantwortet – vorgegangen sind. Grass und Kameramann Andreas Doub haben die ungewöhnliche Geschichte angemessen umgesetzt: Theresa und Hauptkommissar Lewandowski (Aurel Manthei) sitzen beim alten Kempter (Robert Kuchenbuch) im Wohnzimmer. Als die Rechtsmedizinerin nach der letzten Begegnung fragt, klopft es an der Terrassentür, Kempter schaut hoch, Theresa folgt seinem Blick, dann zeigt eine Rückblende das entsprechende Gespräch zwischen Vater und Sohn. Ähnlich sensibel ist der Umgang mit dem Thema. Der Reiz des Drehbuchs resultiert aus einem speziellen Kontrast, denn Patrick lebte, offenbar nach dem Motto "Wenn ich’s hier schaffe, dann schaff’ ich’s überall", im Wohnheim einer Burschenschaft.

Als er noch Manuela hieß, war er Jugendmeisterin im Modernen Fünfkampf; kein Wunder, dass er den anderen Mitgliedern der schlagenden Verbindung beim Fechten deutlich überlegen war. Frauen sind im Haus der "Alemannia" nur als Gäste geduldet, und selbstredend ist der Senior (Marius Ahrendt) ein besonders unangenehmer Bursche, aber angeblich wussten Patricks Mitbewohner nichts von der Geschlechtsumwandlung. Trotzdem ist Theresa überzeugt, dass sein Tod ursächlich damit zusammenhängt, zumal er Opfer einer gezielten Gewalttat gegen den Genitalbereich geworden ist. 

Natürlich bedarf es angesichts des Themas allerlei Erklärungen; erst recht, weil die Person, um die es geht, die Informationen nicht mehr aus erster Hand liefern kann. Thurn und Demke nutzen die nötigen Erläuterungen, um Theresas nur bedingt sympathischem Kollegen aus der Schmollecke zu holen: Bernhard Zeidler (Peter Schneider) hatte sich schon als Leiter des Instituts für Rechtsmedizin gesehen, bevor sie ihm vor die Nase gesetzt wurde. Das Betriebsklima ist nach wie vor nicht gerade herzlich, aber fachlich bewegen sie sich auf Augenhöhe, und da sich Zeidler als Gutachter mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen befasst, kann er den nötigen Hintergrund beisteuern: Ein flüchtiger Blick genügt, um ihn erkennen zu lassen, dass bei Patricks Operationen gepfuscht worden ist. Davon abgesehen sind die Ausführungen des Arztes auch sehr interessant, denn wer außer den Betroffenen weiß schon, wie kompliziert das gesamte Procedere ist; und das gilt keineswegs nur für den medizinischen Teil. 

Für Abwechslung sorgt die neue Praktikantin (Johanna Graen), die gleich mehrfach entlassen wird, weil sie einen Fehler nach dem anderen begeht, aber fast ebenso oft wieder zurück ins Team darf, da sie mit Neuigkeiten aufwarten kann, die Theresa weiterhelfen. Eine zusätzliche Verblüffung erwartet die Ärztin im Alemannia-Haus: Als "Alter Herr" entpuppt sich ausgerechnet ihr hochgeschätzter ehemaliger Professor für Neurochirurgie (Heikko Deutschmann). Originell ist auch die Idee, dass die etwas eigenwillige Ärztin dank einer Mischung aus Hütchenspiel und Familienaufstellung erkennt, welche Rolle der Vater in der ganzen Sache spielt.

Witzigerweise kommt Lewandowski mit einer völlig anderen Methode zum selben Schluss. Der bodenständige Polizist repräsentiert jenen Teil des Publikums, der das Thema Trans-Identität ähnlich wie er "irgendwie komisch" findet, weshalb Theresa die Aufgabe zukommt, Verständnis zu wecken: Als sie die Bahre mit Patricks Leiche an den Toiletten vorbeischiebt, sieht sie vor ihrem geistigen Auge, wie er die Tür zum Herrenklo öffnet, sich zwischen zwei Männer ans Pissoir stellt, erst nach links und dann nach rechts schaut und sich darüber freut, endlich offiziell im Stehen pinkeln zu können.