Raubgut in Museen und seine Rückerstattung

Benin Bronzen
epd-bild/Jürgen Blume (M)
Seit Jahrzehnten bitten nigerianische Stellen darum, dass die Bronzen in ihre Heimat zurückkommen. Gehört das Raubgut zurück in das afrikanische Land? Nehmen Sie an unserer Umfrage teil.
Kolumne evangelisch kontrovers
Raubgut in Museen und seine Rückerstattung
Vor einem halben Jahr hat die deutsche Außenministerin Benin-Bronzen aus deutschen Museen nach Nigeria gebracht und einen größeren Prozess der Rückführung begonnen. Was hat es mit diesen Kunstwerken auf sich, und was ist von der Restitution zu halten?

Atlantis! Der alte Mythos der versunkenen Stadt wurde plötzlich wieder lebendig. Als der deutsche Anthropologe Leo Frobenius vor 115 Jahren Büsten, lebensgroße Köpfe aus Messing, in Nigeria entdeckte, war er von der künstlerischen und handwerklichen Qualität verblüfft. Aus Nigeria konnten sie nach seiner Meinung nicht stammen. Seine Erklärung: Sie wurden in Atlantis gefertigt, und durch irgendeinen Zufall gelangten sie ans Festland, bevor die Stadt im Meer versank.

Die Messing-Büsten aus Ile-Ife, die Frobenius in Nigeria entdeckte, sind mehrere Jahrhunderte älter als die sogenannten Benin-Bronzen, über die man inzwischen so viel diskutiert hat. Sie sind ähnlich kunstvoll und wesentlich zahlreicher. Vor einem halben Jahr hat Außenministerin Annalena Baerbock die ersten deutschen Benin-Bronzen nach Nigeria zurückgebracht. Etwa 1100 davon befinden sich in Deutschland. Vor ein paar Jahren leitete eine CDU-Staatsministerin in die Wege, dass auf kurz oder lang fast alle nach Nigeria zurückkehren werden. Ich bin der Meinung, dass die Rückerstattung der Bronzen nach Nigeria ein wichtiger Schritt zur Versöhnung nach historischem Unrecht ist.

Der Streit um die Benin-Bronzen

Um die Rückführung der sogenannten Bronzen nach Nigeria wurde viel gestritten. Vor anderthalb Jahren beharrte der Theologe Richard Schröder in einem Zeitungsartikel darauf, dass von einer rechtlichen Verpflichtung zur Rückgabe der Bronzen keine Rede sein könne. Gekaufte Hehlerware muss man zurückgeben, aber bei den Bronzen handle es sich um legitime Beute, nicht um Diebesgut. Vor drei Monaten publizierte ein prominenter Theologe und Ethiker aus England ein Buch, in dem er erklärte, weshalb der britische Kolonialismus wesentlich besser war als sein heutiger Ruf. Auch dabei spielen die Benin-Bronzen eine prominente Rolle.

Umfrage

Ist es gerechtfertigt, dass die Bronzen nun nach Nigeria zurückgebracht werden?

Auswahlmöglichkeiten

Das britische Militär raubte 1897 über 4.000 Bronzen, als es den Königspalast von Benin City dem Erdboden gleichmachte. Benin City war die Hauptstadt der historischen Nation Benin, die heute den nigerianischen Bundesstaat Edo bildet – nicht zu verwechseln mit dem heutigen Staat Benin 500 km westlich. Kaum eine Bronze verblieb damals in Nigeria. Im Gegensatz zu Frobenius erkannte ein zeitgenössischer Anthropologe aus Deutschland bald, dass selbst die besten Renaissance-Künstler Italiens keine kunstvolleren Skulpturen gießen konnten als die Westafrikaner. Kein Wunder, dass auch deutsche Sammler tief in die Taschen griffen.

Beste Künstler Italiens erreichten kaum das Niveau der Benin-Bronzen

Dieser indigenen Kulturleistung steht aber immer noch ein problematisches Afrika-Bild entgegen. So tischte der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy 2007 seinen überraschten Gastgebern in Senegal krude Geschichten auf. In seiner offiziellen Rede stellte er die Afrikaner als ungebildete Bauern dar. "Afrikas Drama ist, dass der Afrikaner nicht genug in die Geschichte eingetreten ist." Es hätte nur noch Atlantis gefehlt.

Es wird geschätzt, dass rund 90 Prozent des bekannten kulturellen Erbes aus Subsahara-Afrika in westlichen Museen liegt. Seit Jahrzehnten bitten nigerianische Stellen darum, dass die Bronzen in ihre Heimat zurückkommen. Doch die sogenannten Bronzen sind nicht nur Kunstwerke. Die traditionelle Kultur in Benin kannte keine Schrift, wie einige andere traditionelle afrikanische Staaten und Gesellschaften auch. Die Bronzen dokumentieren Benins 500 Jahre alten Traditionen, seine Weltanschauung, Religion und Geschichte. Ein neues Sachbuch bezeichnet den damaligen Königspalast mit den Bronzen als "Benins Nationalbibliothek, -kathedrale und -museum." 

Wie Großbritannien dem Königreich ein Ende bereitete, bedeutete einen kulturellen Kahlschlag. Zudem führte der politische Umsturz zu einer schweren Beeinträchtigung der mündlichen Überlieferungen. Die britischen Militärs hatten keine Ahnung, was sie anrichteten. Immerhin nannten sie damals Raub und Plünderung offen beim Namen ("loot" – nicht Beute, "bounty"). Nicht zu verschweigen ist allerdings, dass es in Benin auch krasse Formen der Gewalt gegeben hatte (siehe unten).

War der großangelegte Raub des benin’schen Kulturgutes ein "Demozid" – eine Form des Völkermordes durch kulturelle Zerstörung? Dafür hätte es vermutlich einer klareren Intention und eines systematischeren Vorgehens auf britischer Seite bedurft, zumindest aus rechtlicher Sicht. Im Resultat kam die britische Vergeltungsaktion einem Demozid zumindest nahe. Doch zugleich haben die europäischen Kolonialherren die Wirklichkeit geschaffen, die sie zuvor in ihren Afrika-Klischees erfunden hatten: Afrika sei ein geschichtsloser Kontinent, "in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt".

Die Bronzen in den Museen

In den europäischen Museen erfährt ein internationales Publikum von Benin – abgesehen von den normalen Bürger:innen aus Nigeria. Manchmal wird auch gegen die Übertragung der Bronzen nach Nigeria eingewendet, ein solcher Kulturschatz sei in Europa in besseren Händen als in Nigeria. Eine internationale Gruppe von Experten und Politikern hat aber entscheidende Fortschritte erzielt in der Arbeit an einer sicheren Präsentation der Bronzen in Nigeria. Hinzu kommt, dass einige Bronzen auch in Europa verloren gingen, z.B. in den beiden Weltkriegen. Auch haben etwa deutsche Museen viele koloniale Artefakte mit schädlichen Pestiziden behandelt.

Hinzu kommt, dass die Lager der Museen aus allen Nähten platzen. Das Berliner Humboldt Forum stellt 40 – oder vielleicht bis zu 170 – seiner 520 Artefakte aus Benin aus. Das Britische Museum verfügt mit Abstand über die meisten Bronzen, etwa 950 Stück, von denen die Besucher:innen aber nur etwa 100 sehen können. Auch in den großen Museums-Ausstellungen insgesamt bilden die Bronzen, die gezeigt werden, nur kleine Momentaufnahmen. Im Britischen Museum sind insgesamt etwa 50.000 Exponate aus aller Welt ausgestellt. Damit bekommt die Öffentlichkeit gerade mal ein Prozent der Sammlung zu sehen.

Dennoch sind Besucher der großen Museen mit einer solchen Fülle an Exponaten konfrontiert, die sie schnell überfordert. Andere Museen haben eine Handvoll von Objekten aus Benin. Sie werden dort zum größten Teil ausgestellt, doch isoliert in einer einzelnen Vitrine kommen sie erneut nicht zur Geltung.

Die britische Invasion

Die Briten eroberten Benin City vor 125 Jahren in einer Strafexpedition. Wenige Wochen zuvor hatten Soldaten aus Benin etwa 15 britische Beamte samt 240 Trägern fast vollzählig getötet, die nach Benin eingedrungen waren. Die Ereignisse sind sehr verwickelt. Jedenfalls reagierte das britische Empire mit einer blitzschnellen, großangelegten Invasion. Dabei stießen die Eroberer auf drastische Spuren von Menschenopfern in Benin. Unser Wissen ist hier sehr lückenhaft. Eine kontinuierliche Praxis war das wohl nicht, doch 1897 kam es zu krassen Exekutionen. Hinzu kommt, dass Benin traditionell Menschen versklavte und Sklaven verkaufte. 

Allerdings profitierte Großbritannien selbst bis in die 1860er wirtschaftlich klar von der Sklaverei in den USA. Die billige amerikanische Baumwolle hatte die britische Industrialisierung lange am Laufen gehalten. Zum Schmieren der Industrieanlagen hatte sich England nun das Palmöl aus Benin gesichert. Zuvor war Großbritannien selbst lange die Nummer eins in Sachen Sklaverei gewesen.

Recht und Moral

Letztlich ist für die Benin-Bronzen selbst nicht entscheidend, wie man die Invasion Benins rechtlich und moralisch bewertet. Fraglich sind die Plünderungen im Anschluss. Im 19. Jahrhundert hatten sich die europäischen Mächte einschließlich Großbritanniens mehrfach gegen das Plündern von Kunstschätzen ausgesprochen – allerdings nur im Blick auf die "zivilisierten Nationen", zu denen man Benin nicht zählte.  Nur zwei Jahre nach dem Raubzug in Benin lehnte man in der ersten Haager Konvention Plünderungen ab. Dadurch werden die Benin-Plünderungen zwar nicht im Nachhinein illegal. Doch auf der juristischen Ebene lässt sich die Angelegenheit ohnehin nicht angemessen erfassen. Wer den Zeitraum vor der Entwicklung des internationalen Rechts rein juristisch bewertet, folgt dem Recht des Stärkeren. Vermeintlich war nur das Plündern "primitiven" Eigentums legitim, doch wenn die Bronzen "primitiv" gewesen wäre, hätte man sie nicht geraubt.

Fazit

Dass die Bronzen allmählich nach Nigeria zurückkommen, ist zu begrüßen. Für die Niederlage 1897 zahlte Benin nicht nur mit dem Verlust der Souveränität und mit seinen natürlichen Ressourcen, sondern auch mit einem kulturellen Kahlschlag. Mich schockiert an dieser 125-jährigen Geschichte besonders, wie die europäischen Mächte Afrika lange für einen geschichtslosen Kontinent hielten, doch mit dieser Begründung beraubten sie Afrika erst seiner Geschichte. Mit der Unterscheidung von "zivilisiert" und "primitiv" wurde ein Raubzug ideologisch gerechtfertigt, doch das Raubgut war so begehrt, weil es offensichtlich keineswegs aus einer "primitiven" Kultur stammte. Übrigens spielte die christliche Mission bei der Begründung des britischen Militäreinsatzes keine prominente Rolle. Doch anders, als manchmal zu hören ist, wird Geschichte gerade nicht ungeschehen gemacht, indem man das Raubgut nun zurückgibt. Im Gegenteil: Der Raub war es, der Geschichte ungeschehen gemacht hat.