TV-Tipp: "Der weiße Kobold"

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Mittwoch, 26. April, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Der weiße Kobold"
Die Thrillerkomödie aus Österreich wartet mit einer Fülle an bizarren Figuren und Kapriolen auf. Nach dem äußerst turbulenten Beginn geht Regisseur Marvin Kren allerdings ein wenig die Puste aus.

Er wollte eigentlich nur Zigaretten holen: So fingen früher, als das Rauchen noch nicht tödlich war, die besten Geschichten an. Unterwegs begegnet der Mann einer Frau, die ihm Hören und Sehen vergehen lässt. Selbstverständlich kennt Marvin Kren, vielfach geehrt für seine TNT-Serie "4 Blocks" (Grimme-Preis, Deutscher Fernsehpreis), Martin Scorseses Komödie "Die Zeit nach Mitternacht" (1985), in der einem unbescholtenen New Yorker die wildeste Nacht seines Lebens widerfährt.

Mit "Der weiße Kobold" erzählt der Österreicher (Buch und Regie) von einem ganz ähnlichen Abenteuer, zumal hier wie dort Kunst eine große Rolle spielt: Der brave Speditionskaufmann Freddy Sternthaler (Frederick Lau) soll seinem Chef eine Schachtel Zigaretten besorgen. Vor einer Kneipe trifft er auf Ema (Maya Unger), die ihm für eine Stunde seiner Zeit tausend Euro offeriert. Das Angebot hätte sie sich sparen können: Freddy würde dieser aufregenden Frau mit den hochhackigen Stiefeln und den knallroten Lippen bis ans Ende der Welt folgen - da ahnt er allerdings auch noch nicht, worauf er sich einlässt.

Wenn sich eine strapaziöse Aufgabe als besonders langwierig erweist, sagen Menschen aus der Politik gern, diese Herausforderung sei kein Sprint, sondern ein Marathon. Filme sind wesentlich kürzer, deshalb hinkt der Vergleich etwas. Wenn überhaupt, dann handelt es sich eher um eine Mittelstrecke, aber dennoch gilt: Wer sich anfangs verausgabt, hat am Ende keine Puste mehr; und das stimmt leider auch für Krens Inszenierung.

"Der weiße Kobold" legt im ersten Akt ein ungeheures Tempo vor, denn bevor Freddy ins Spiel kommt, hat Ema bereits eine von wildem Jazz untermalte Verfolgungsjagd hinter sich: Die junge Frau arbeitet als Drogenkurierin für einen stadtbekannten Gangster. Als ihr ein Kilo Kokain "abhanden" kommt, kriegt sie selbstredend gewaltigen Ärger, und weil sie in dieser Hinsicht offenbar über ein besonderes Talent verfügt, gesellt sich prompt ein weiteres Problem dazu.

Ema wollte ihrem malenden Bruder (Simon Steinhorst) mit Hilfe eines schwerreichen, aber unberechenbaren Mäzens eine Ausstellung organisieren. Anstelle von Martins Bildern führt Brückner (Thomas Mraz) den geladenen Gästen aus aller Welt jedoch ein Werk seiner minderbegabten Freundin (Zoë Straub) vor. Als die zornige Ema die "Trottelkunst" zerstört, muss sie erneut flüchten, diesmal mit Freddy an ihrer Seite.

"Und jetzt geht die Geschichte erst richtig los", könnte es nun heißen, aber in diesem Fall stimmt das nur bedingt, denn es geht im Gegenteil nicht mehr viel. Allenfalls die Luft aus. Das ist zwar angesichts des turbulenten Auftakts nicht ungewöhnlich, zumal Filme dieser Art gern im mittleren Drittel etwas zur Ruhe kommen, um Anlauf fürs Finale zu nehmen, aber Krens im Rahmen der gleichnamigen ORF-Reihe entstandenen Stadtkomödie hat sich bereits verausgabt; den Rest der Strecke trabt die Handlung vor sich hin.

Es macht auch weiterhin Spaß, dem zentralen Duo zuzuschauen, doch um Freddy und Ema herum gruppiert Kren lauter Nachtgestalten, die zum Teil allzu bemüht krawallig und originell wirken. Typisch für den mitunter aufdringlich augenzwinkernden Ansatz des Drehbuchs ist eine Nachtclubbegegnung Freddys mit einem mutmaßlich gleichfalls zwielichtigen Zeitgenossen, der überzeugt ist, dass er ihn kennt: Kida Khodr Ramadan hat mit Kren bei "4 Blocks" zusammengearbeitet, aber Frederick Lau ist seit dem Drama "Ummah – Unter Freunden" (2013) ein ständiger filmischer Weggefährte.

Der Titel bezieht sich vordergründig auf einen kleinen Jungen im Schneeanzug, der gleich zu Beginn seiner Oma entwischt und in Martins Atelier auftaucht. Als Freddy das Kind der Polizei übergeben will, hält ihn die alte Frau für einen Kinderschänder.

Für den Regisseur ist der weiße Kobold "eine Metapher für das wilde, schlimme, freie, ungezwungene Kind in uns, das wir alle einmal waren und mittlerweile verdrängt haben." Entsprechend anarchisch hat Kren, der für BR ("Die letzte Wiesn", 2015) und NDR ("Böser Boden", 2017) sehenswerte "Tatort"-Beiträge gedreht hat, auch die um viele Verweise auf die Wiener Kunstszene ergänzte Handlung konzipiert.

Im Rahmen des ansonsten größtenteils eher braven ARD-Hauptabends ist die Thrillerkomödie mit ihren vielen Kapriolen daher ein äußerst ungewöhnlicher Stoff: nicht anstößig zwar, aber auch aufgrund der vielen bizarren Nebenfiguren aus Sicht des Stammpublikums mutmaßlich mindestens befremdlich. Der ausgeprägte Dialekt ist zudem stellenweise schlicht unverständlich.