Verborgen - jüdische Filmschaffende nach 1945

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Auch jüdische Filmemacher haben sich dem Holocaust als Thema erst mit zeitlichem Abstand gestellt.
Vergessene Filmgeschichte
Verborgen - jüdische Filmschaffende nach 1945
Die deutsche Filmgeschichte kennt viele Gesichter, Stars und Sternchen. Wer von ihnen jedoch jüdisch war, blieb meist im Verborgenen. Ein Buch wirft Schlaglichter auf diese jüdischen Filmschaffenden - passend zum heutigen Berlinale-Auftakt.

Die Deutschen wollten nach dem Krieg wieder lachen und machten sich an den Wiederaufbau. Vergangenheitsbewältigung versprach wenig Unterhaltungswert. Im Rahmen des Forschungsnetzwerks "Deutsch-jüdische Filmgeschichte der BRD" ist nun eine besondere Form kollaborativen Schreibens erschienen: Gut ein Dutzend Autoren sammelten Anekdoten, historiografische und biografische Bruchstücke von Juden und Jüdinnen in Film und Fernsehen - eben "Einblendungen" auf die deutsche Geschichte nach 1945.

"Morituri" etwa, von 1948. Es war der erste deutsche Spielfilm, in dem ein KZ gezeigt wurde, die Flucht und das Untertauchen einer Gruppe Verfolgter. Regisseur Artur Brauner wollte seinen ersten Film unbedingt über und für die wehrlosen NS-Opfer drehen. Genau der Artur Brauner, der später in einer ehemaligen Munitionsfabrik seine berühmten Berliner CCC-Studios aufbaute.

"Arthur Brauner ist nicht explizit als Opfer aufgetreten. Er hat damit aber auch nicht hinter dem Berg gehalten. Er hatte einen jiddischen Akzent, was aber trotzdem nicht thematisiert worden ist", schildert der Frankfurter Filmwissenschaftler Johannes Praetorius-Rhein die Zwiespältigkeit seiner Person.

Dass Brauner verfolgter Jude war, wollte im Nachkriegsdeutschland kaum jemand wissen. Sein Geld verdiente Brauner alsbald auch nicht mit anklagenden, sondern mit Unterhaltungsfilmen. Old Shatterhand und Winnetou lassen grüßen.

Kollegen mit brauner Vergangenheit

"Ein Leben im post-nationalsozialistischem Deutschland verlangte von allen jüdischen Filmemachern Kompromisse, eben auch Widersprüche auszuhalten", sagt die Potsdamer Film- und Medienwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg. Es gab Juden im deutschen Film nach 1945, doch selten traten sie als solche öffentlich in Erscheinung. Imo Moszkowicz etwa aus Ahlen in Westfalen musste Zwangsarbeit leisten. Nach dem Krieg wurde er Regieassistent bei Gustav Gründgens, drehte Komödien mit Heinz Rühmann. Eben jenen Menschen, die schon in Nazideutschland Erfolge feierten.

Aber im Nachkriegsdeutschland musste man als Jude im Film- und Fernsehgeschäft wohl oder übel auch mit Leuten zusammenarbeiten, der eine braune Vergangenheit hatten. Von Gründgens wurde Moszkowicz zudem als junger Mann ohne große Schulbildung, die er als Zwangsarbeiter nie erwerben konnte, protegiert. Moszkowicz verehrte Gründgens, er war ihm geradezu dankbar.

Kaum kritische Aufarbeitung

Imo Moszkowicz starb 2011. Er stellte immer nur seine Erfolgsgeschichte als Kind aus armen Verhältnissen in den Vordergrund. Erst im Alter konnte er zugeben, NS-Opfer gewesen zu sein. Erst spät nahm er als Zeitzeuge an Gedenkveranstaltungen teil.

Beim Publikum fand eine kritische Aufarbeitung der NS-Zeit dagegen kaum statt. Im Magazin Stern erschien 1955-1957 die Rubrik "Das gab’s nur einmal". Später wurde daraus ein Buch als eine Art "Standardwerk" früher Filmgeschichte. Der Autor war Curt Riess - selbst Jude, der aber mit der UfA-Schauspielerin Heidemarie Hatheyer verheiratet und mit Gustav Gründgens, Hans Albers und anderen UfA-Größen befreundet war. Keiner von ihnen wollte Nazi gewesen sein. Riess übernahm deren Selbststilisierung als Opfer im "inneren Widerstand" - als hätten sie nicht anders gekonnt, um zu überleben.

"Wenn wir das heute aufschlagen über die Geschichte der UfA zwischen 33 und 45, dann stellen sich überall die Nackenhaare auf. Weil das an jeder Stelle versucht, den Schauspielern und Schauspielerinnen und Regisseuren eine politische Hintertür offen zu halten", sagt Johannes Praetorius-Rhein.

Ruinen und dunkle Orte

Es gab nur wenige "jewish moments", also jüdische Momente im Film nach 1945, versteckt, kaum zu erkennen. Bei den Drehorten etwa. Zum Beispiel im Film "Singing in the dark" von 1956. Moishe Oysher spielt den Holocaust-Überlebenden Leo, der sein Gedächtnis verliert und sich erst in den Trümmern des zerbombten Nachkriegs-Berlins erinnert. Gedreht wurde in den Ruinen der Synagogen Fasanenstraße und Levetzowstraße/Moabit. Ein höchst seltenes Filmdokument, denn in den 1950er Jahren wurden meistens nur die Neubauten oder Wiederaufbauten von Synagogen gezeigt, nicht aber die Ruinen der Vorgängerbauten, die noch lange nach Kriegsende einfach in den Städten brach lagen.

Später wird immer wieder auch das Haus der Wannseekonferenz filmisch thematisiert, von Claude Lanzmann etwa. Kameramann Michael Ballhaus gründet mit dem Potsdamer Filmstudenten Thomas Mitscherlich den Verein Internationales Dokumentationszentrum. Über Jahrzehnte dauert der Kampf, bis hier erst 1992 eine Gedenkstätte eingerichtet werden kann.

Impuls aus den USA

Schließlich gab es auch die, die ihr Judesein nicht versteckten. Peter Lilienthals Familie floh aus Nazi-Deutschland nach Uruguay, als er 10 Jahren alt war. "David" beschreibt junge Juden in der landwirtschaftlichen Vorbereitung auf ihre Alija nach Palästina. Mit "David" gewann Lilienthal 1979 den goldenen Bären. Er blieb aber Außenseiter, wurde nie Teil des neuen deutschen Autorenkinos, das nach der 68er-Revolution mehr nach den Täter-Vätern fragte als nach den jüdischen Opfern. Mit skurrilen Auswirkungen.

"Im Kontext des Autorenfilms, der sich gegen Papas Kino positioniert, geht es um den Generationenkonflikt. Arthur Brauner als berühmter Filmproduzent des Nachkriegskinos wurde nicht als jüdisches NS-Opfer, sondern als Repräsentant von Papas Kino wahrgenommen", sagt Filmwissenschaftler Johannes Praetorius-Rhein. Und es gab Impulse von außen. 1978 etwa die US-Serie "Holocaust, die Geschichte der Familie Weiß". Ein Straßenfeger, der Betroffenheit in den Familien der Bundesrepublik auslöste.

Holocaust als Vorabendserie

"Es gab damals einen Riesenzoff im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Warum können die Amis etwas, was wir nicht können? Warum brauchen wir die Amis, um Holocaust in die Wohnzimmer zu bringen?", weiß der Journalist Raphael Rauch, der seine Doktorarbeit über die Auswirkungen der Serie "Holocaust" auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geschrieben hat.

Der damalige Sender Freies Berlin startete daraufhin das Projekt "Levin und Gutmann". Ziel war, das Leben von Jüdinnen und Juden aus dem Berlin der 1980er Jahre auf die Bildschirme zu bringen. Damit wurde Arthur Brauner beauftragt. Alles sollte in einer Vorabendserie vorkommen: Die Generation der Überlebenden trifft auf die Tante in Israel. Orthodoxe und Liberale streiten miteinander. Kann ich eine Schickse, also eine Nicht-Jüdin heiraten? Darf ich einen Goj, also einen Nicht-Juden heiraten?

Erschreckende Vorurteile

"Heraus kam eine hölzerne Seifenoper. Es war ein Flop, war zwar gut gemeint, aber unterm Strich Volkshochschule und nicht netflix", fasst Raphael Rauch den öffentlich-rechtlichen Aufklärungsversuch zusammen.

Ähnliche Versuche gab es auch im DDR-Fernsehen. Auch Rauch sucht die "jewish moments" - kaum zu erkennen, aber dennoch da. Die Geschichte hinter den "Münchner Geschichten" etwa. Regisseur Helmut Dietl wollte Towje Kleiner als Hauptdarsteller, aber der war dem Bayrischen Rundfunk "zu jüdisch" aussehend und wurde abgelehnt. "Das waren ganz klare Vorurteile mit antisemitischer Stoßrichtung", sagt Rauch.

Bei Helmut Dietl finden sich weitere "jewish moments". Das Eindrücklichste sei eine Stelle im "Ganz normalen Wahnsinn" gewesen. Dort sei das ganze Problem zwischen Deutschland, Holocaust und dem Umgang mit dem Judentum auf den Punkt gebracht worden, meint Rauch: "Es ist die deutsche Übersetzung eines alten jü…ausländischen Sprichwortes. Die Figur bricht mitten im Satz ab, sie will jüdisch sagen, sagt aber plötzlich ‚ausländisches Sprichwort‘: Man könnt leben, aber man losst net. Man könnte leben, aber man lässt nicht. – Juden und Jüdinnen sind keine Ausländer in Deutschland, aber sie werden als fremd wahrgenommen. Und das bringt Helmut Dietl auf den Punkt."

Heute, so scheint es, wird Jüdischsein nicht mehr versteckt. Zum Beispiel Esther Zimmering, Jahrgang 1977. Sie erfährt erst allmählich von der jüdischen Identität ihrer DDR-Familie. Nach der Wende lernt sie ihre Verwandten in Israel kennen. "Swimmingpool am Golan" von 2018 ist eine sehenswerte Dokumentation.

Das kleine Büchlein "Einblendungen" gibt somit zahlreiche Einblicke in die jüdischen Momente im deutschen Film und Fernsehen. Eine spannende und manchmal erschreckende Entdeckungsreise.

Buchtipp: Johannes Praetorius-Rhein / Lea Wohl von Haselberg (Hrsg.): Einblendungen. Elemente einer jüdischen Filmgeschichte der Bundesrepublik, Jüdische Kulturgeschichte in der Moderne, Bd. 27, Neofelis Verlag, 186 Seiten, mit 5 Illustrationen, ISBN: 978-3-95808-413-1, 14,00 Euro