TV-Tipp: "Nord bei Nordwest: Auf der Flucht"

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5. Januar, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Nord bei Nordwest: Auf der Flucht"
Im Kern sind es immer wieder die gleichen Geschichten, die Erfolgsautor Holger Karsten Schmidt in seinen Krimireihen "Nord bei Nordwest" und "Harter Brocken" (beide ARD) erzählt: Das Leben im Ostseeort Schwanitz wie auch im Harz könnte so beschaulich sein, wenn nicht der verbrecherische Rest der Welt regelmäßig in die Idylle einbrechen würde.

Darum geht es auch im Auftakt zur neuen "Nord bei Nordwest"-Trilogie, "Auf der Flucht": Der Fahrer eines Gefangentransports sinkt tot über das Steuer, auch der Beifahrer stirbt, als der Wagen gegen ein Hindernis kracht; die vier weiteren Insassen im hinteren Teil des Autos haben jedoch überlebt. Der Unfall ereignet sich kurz vor Schwanitz, die Ganoven wollen sich mit der Nachmittagsfähre Richtung Skandinavien aus dem Staub machen, aber bis dahin brauchen sie einen Unterschlupf. Als sie sich im einsam gelegenen Forsthaus mit neutraler Kleidung eindecken, werden sie vom Förster überrascht. Es kommt zu einem Schusswechsel, bei dem der Mann stirbt und einer der Häftlinge verletzt wird.

Die ärztliche Versorgung könnte natürlich auch ein Tierarzt übernehmen, und so landen sie in der Gemeinschaftspraxis des früheren LKA-Kommissars Hauke Jacobs, der halbtags gemeinsam mit Hannah Wagner (Jana Klinge) auch den örtlichen Polizeiposten betreibt, und seiner Kollegin Jule Christiansen (Marleen Lohse), die den entflohenen Sträflingen nun gemeinsam mit Praktikantin Lea (Carolin Garnier) als Geisel dient. Über die Gefühle, die Jacobs für seine Praxispartnerin hegt, kann schon geraume Zeit kein Zweifel mehr bestehen, und Lea ist Hannahs Nichte; beides verleiht dem Fall selbstredend zusätzliche Brisanz. Zunächst lässt jedoch nichts darauf schließen, dass sich der Film im letzten Akt zum fesselnden Thriller entwickeln wird.

"Auf der Flucht" ist Hinnerk Schönemanns erste Regiearbeit. Seine Inszenierung fügt sich nahtlos ins Gesamtbild der Reihe, deren Episoden ja ohnehin meist harmlos beginnen, ehe es um Leben und Tod geht. Über sein tatsächliches Regietalent lässt sich daher wenig sagen. Das Ensemble ist zwar ausgezeichnet, aber das ist immer so, wenn Schauspielerinnen und Schauspieler in den Regiestuhl wechseln. Damit nicht der Eindruck entsteht, der Regisseur Schönemann habe den Hauptdarsteller nicht in den Griff bekommen, hat er sich selbst stark zurückgenommen und die Bühne anderen überlassen, zum Beispiel Cem Ali Gültekin: Mehmet Ösker hat diesmal seine Berufung als "Speerspitze der Demokratie" entdeckt, kleidet sich mit Schiebermütze, Weste und Bleistift hinterm Ohr wie ein Journalist aus einem Filmklassiker über rasende Reporter und hat einige amüsante Auftritte als einziger Mitarbeiter des "Schwanitzer Tageblatts".

Für frischen Wind sorgt Carolin Garnier, die seit einigen Jahren in der ARD-Filmreihe "Zimmer mit Stall" einen Glanzpunkt nach dem anderen setzt; leider bleibt Leas Mitwirkung zumindest in dieser Trilogie ein einmaliges Gastspiel. Die wenigste Arbeit dürfte Schönemann mit den beiden Kolleginnen gehabt haben, zumal das zentrale Trio ohnehin ein eingespieltes Team ist, das sich vor der Kamera längst auch ohne Worte versteht. Deshalb gelingt es Jule, Jacobs codiert über die Geiselnahme zu informieren. Zu diesem Zeitpunkt haben auch die Behörden mitbekommen, dass sich der Gefangentransport nicht mehr auf der vorgesehen Route befindet. Jacobs und Wagner werden aufgefordert, die Befreiung von Jule und Lea einem Einsatzkommando zu überlassen, aber die Zeit läuft ab.

Schmidt streut in seine Drehbücher gern Verweise auf berühmte Hollywood-Vorbilder ein, und auch "Auf der Flucht" enthält die eine oder andere Anspielung. Wortführer der Vierbande ist ein Mörder, den Roman Knižka mit einer reizvollen Mischung aus Sympathie und Kaltblütigkeit versieht. Der Schauspieler hat in vielen romantischen Komödien mitgewirkt, was ihn zu einem ausgezeichneten Schurkendarsteller macht, vor allem, wenn sich wie in diesem Fall hinter der charmanten Fassade ein skrupelloser Killer verbirgt. Dass die Kumpane in den weiteren Plänen dieses Verbrechers keine Rolle spielen, versteht sich von selbst, schließlich geht es, wie sich rausstellt, nicht nur um die Freiheit, sondern auch um sehr viel Geld. Die Handlung mündet in ein spannendes Finale mit überraschendem Schluss. Auch wenn Schönemann offenbar erst im Schneideraum klar wurde, dass ein Film beim Schnitt quasi neu entsteht: Das Regieführen hat ihm großen Spaß gemacht; demnächst beginnen die Dreharbeiten zu einer weiteren Episode, die er ebenfalls inszenieren wird.