TV-Tipp: "Riesending – Jede Stunde zählt"

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28. Dezember, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Riesending – Jede Stunde zählt"
Das sogenannte Riesending in den Berchtesgadener Alpen ist die größte Höhle Deutschlands. Hier hat ein Forscher im Sommer 2014 bei einem Steinschlag in tausend Meter Tiefe eine schwere Kopfverletzung erlitten. An der Rettungsaktion, die zwölf Tage dauerte, waren gut siebenhundert Menschen beteiligt; und davon erzählt "Riesending – Jede Stunde zählt".

Die einen bezwingen Berge, andere segeln allein über die Meere. Und dann gibt es noch jene, die sich in Bereiche vorwagen, "die nie ein Mensch zuvor gesehen hat", wie es im Vorspann zur Klassikerserie "Raumschiff Enterprise" heißt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ferne Galaxien, sondern um unterirdische Welten wie etwa das sogenannte Riesending in den Berchtesgadener Alpen, die größte Höhle Deutschlands. 

Das Handlungsmuster in "Riesending – Jede Stunde zählt" erinnert an "Das Wunder von Lengede" (2003, Sat.1). Die Dramatik des Grimme-preisgekrönten Zweiteilers über die Bergung von elf niedersächsischen Bergarbeitern im Jahr 1963 resultierte vor allem aus der Parallelerzählung: hier die Verschütteten, deren Hoffnung auf Rettung nach und nach schwindet, dort die Ingenieure an der Oberfläche, die keine Ahnung haben, ob es überhaupt Überlebende gibt.

Diesen zusätzlichen Faktor hat "Riesending" nicht zu bieten, denn die Fakten sind klar: Ein Mitglied (Jan Messutat) des vierköpfigen Teams ist zurück an die Oberfläche geklettert und hat die Bergwacht informiert. Regisseur Jochen Alexander Freydank, dessen Drehbuch auf einer Vorlage von Johannes Betz beruht, hat dennoch einen Weg gefunden, die Spannung zu verdoppeln: Im Grunde wär’s dem Einsatzleiter, Bertram Erhardt (Maximilian Brückner), ganz recht, wenn sich herausstellen würde, dass das Opfer, Josef Häberle (Roland Silbernagl), nicht transportfähig ist. Dann könnte er die äußerst gefährliche und seiner Ansicht nach ohnehin aussichtslose Rettungsaktion abblasen: An einigen Stellen kommt man nur auf allen Vieren voran, an anderen gar nur kriechend, von steilen Schächten ganz zu schweigen; zu allem Überfluss müsste das Bergungsteam auch noch einen unterirdischen See überqueren. 

Diese Haltung ist natürlich schockierend, und es ist ziemlich mutig von Freydank, eine derart polarisierende Figur ins Zentrum des Films zu stellen, selbst wenn er ein gewisses Verständnis für den Mann weckt: Bei einer Bergung nach einem Lawinenunglück hat Erhardt zwei Leute verloren, als sich eine zweite Lawine löste; das will er nicht noch mal riskieren. Gegenentwurf ist die österreichische Höhlenforscherin Birgit Eberharter (Verena Altenberger), die von der Unglücksnachricht am Geburtstag ihrer Tochter erfährt und umgehend in die Bayerischen Alpen reist, weil sie das Riesending kennt. Sie versichert zwar, es gebe keinerlei emotionale Bindung zu Häberle, aber das ist glatt gelogen.

Unter Tage stellt sich noch etwas heraus, als sie sich gemeinsam mit einer Ärztin (Sabine Timoteo) in die Tiefe wagt: Der Bereich, in dem Häberle und seine Begleitung auf Rettung warten, ist ihr völlig unbekannt; und das über zwanzig Kilometer lange Riesending ist das reinste Labyrinth. Derweil gerät Erhardt oberirdisch immer mehr in Erklärungsnot: Die aus Italien und der Schweiz herbeigeeilten Helfer müssen untätig warten, weil der Mann, dem zudem ein Beamter (Marcus Mittermeier) aus dem Innenministerium im Nacken sitzt, stur auf seinen Kompetenzen beharrt. Als er die Einsatzleitung schließlich an seine Stellvertreterin (Anna Brüggemann) abtritt, kommt zwar Bewegung in die Sache, aber nun zieht ein Unwetter auf; und bei Starkregen sind einige Schächte nicht mehr passierbar. 

Die 180 Minuten lange Geschichte zieht sich zwischenzeitlich allerdings etwas, selbst wenn die zwar zurückhaltende, aber dennoch präsente Musik (Ingo Ludwig Frenzel) die Spannung hochhält. Zwei Filmstunden hätten vermutlich auch gereicht, zumal Menschen, denen die Fernsehbilder ohnehin oft zu dunkel sind, wenig Freude an "Riesending" haben werden: Die Rettungsaktion ist eine Reise in die Finsternis; einzige Lichtquelle sind die Helmlampen. Gerade darin liegt allerdings auch der Reiz des Films, denn auf diese Weise vermitteln Freydank und Kameramann Thomas Dirnhofer perfekt die klaustrophobische Stimmung im Berg.

Ähnlich großen Anteil an der Authentizität hat der enorme physische Einsatz aller Beteiligten: Die Szenen sind nicht etwa im Studio, sondern in einer Höhlenregion in Kroatien entstanden. Schächte und Abgründe, Kälte und Dreck: Alles ist echt. Die Mitwirkenden haben vor den Dreharbeiten ein Abseiltraining absolviert, was den Zweiteiler über weite Strecken fast dokumentarisch wirken lässt. Die ARD zeigt beide Teile hintereinander.