Von der Suche nach einer Kirche der Zukunft

Anna-Nicole Heinrich
© epd-bild/Jens Schlueter
Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der EKD.
Bericht des Synoden-Präsidiums
Von der Suche nach einer Kirche der Zukunft
Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sieht es als große Aufgabe der Kirche, Menschen in einer Zeit von Unsicherheit Halt zu geben. Dabei ruft sie dazu auf, im Netzwerk mit anderen eine gemeinsame Sprache zu finden, um sich den Herausforderungen der Zukunft stellen zu können.

"Im letzten Jahr ist viel passiert. Mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine stehen Fragen der Friedensethik vor einer neuen Situation. Die Auswirkungen dieses Krieges führen uns erneut vor Augen, wie verwundbar das Miteinander ist, und dass Frieden keine Selbstverständlichkeit, sondern immer gefährdet ist", sagt Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode zur Eröffnung der Tagung der EKD-Synode in Magdeburg. 

Sie fährt fort: "Und gleichzeitig stehen wir weiter vor der Aufgabe, die Kirche der Zukunft zu gestalten. Die 12. Synode hat mit ihren Zukunftsprozessen klare Perspektiven dafür aufgemacht und uns als Auftrag mit auf den Weg gegeben." Dabei fragt sie sich Fragen, die alle bewegen: "Wie finde ich Halt in aller Unsicherheit? Beheimatung in aller Ruhelosigkeit? Hoffnung in aller Aussichtslosigkeit? Und: Wie finden wir Wege, Bilder, Sprache, Stories, um diesem Sehnen nach dieser Suche Ausdruck zu verleihen?" 

Um das deutlich zu machen, nutzt sie das Bild einer wackeligen Slackline, auf der man sich, ohne herunterzufallen, nur mit Stabilität und Gleichgewicht bewegen kann. Heinrich ermuntert dazu, Slacklinen einmal als Synode auszuprobieren, also das Spannen eines LKW-Gurtes zwischen zwei Bäumen. Die Aufgabe sei, darauf zu stehen, darüber zu laufen und zu springen. Es gehe um Balance, Konzentration und Koordination.

Übertragen auf die Kirche sei der Baum die Tradition von Ritualen. Die Zielvorstellung hingegen, also das Hinausbalancieren, sei die christliche Hoffnung auf gerechten Frieden, verantwortliches Zusammenleben und gelebte Nächstenliebe. Das Bild nutzte sie auch, um ihre Kirche zu Reformen zu ermuntern. Sie müsse sich zwischen Tradition und Verheißung fortbewegen, "selbst wenn die Slackline unter uns wackelt", sagte Heinrich.

"Gerade  bringen  Krisen uns  ins  Wanken. Die  Slackline  wackelt, Unsicherheit bringt die Knie zum Zittern. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine in Europa raubt uns  das  Gleichgewicht,  die  Beben  der  Klimakrise  nehmen  zu, bedrohen  uns. Die Versprechungen  der  Populisten  haben  Konjunktur,  die sozialen  Verwerfungen  wachsen  unaufhaltsam – unsere Welt gerät in schweres Wasser", fährt die Präses fort. Aufgabe der Kirche sei es, eine Antwort auf die Frage nach Halt zu geben.

Zielvorstellungen, die Orientierung geben

"Wir kommen nicht vorbei an den Krisen, die wir erleben, können nichts wegignorieren, können nicht auf den Baum der Tradition klettern, die Augen zumachen und so tun, als wäre nichts – das wird nicht funktionieren. Wir müssen uns damit theologisch beschäftigen und brauchen zugleich pragmatische Antworten. Und wir müssen unsere Haltung gesellschaftlich vertreten und dabei die Gerechtigkeitsfrage immer wieder in den Mittelpunkt stellen. Soziale Gerechtigkeit, globale Gerechtigkeit, Generationengerechtigkeit", sagt Anna-Nicole Heinrich in Ihrem Bericht zur Synode der EKD. Sie plädiert für Zielvorstellungen, die Orientierung geben und den Fixpunkt ausrichten. 

"Hier ein Patch, da ein Fix, bringt uns nicht weiter"

Antworten würden in der christlichen Hoffnung gefunden werden. "Wir haben gut losgelegt mit den Zukunftsprozessen, sind an ganz vielen Stellen dabei das zu konkretisieren", erläutert Heinrich. Zugleich gibt sie zu bedenken: "Aber wir werden es nicht schaffen, auf ein Problem nach dem anderen einzugehen. Hier ein Patch, da ein Fix, bringt uns nicht weiter. Es braucht Ideen, wo es insgesamt hingehen soll. Wir suchen nach einem konkreten greifbaren Bild von einer Kirche der Zukunft."

Heinrich spricht sich dafür aus, dass es nur gemeinsam gehe, im Netzwerk mit anderen, mit anderen Kirchen, der weltweiten Ökumene und dem Blick fürs Globale, mit anderen Akteur:innen und Partner:innen, die "für Sachen einstehen, die wir aus christlicher Überzeugung heraus pushen wollen."

Sprach- und handlungsfähig Glauben

Dabei helfe es, eine gemeinsame Sprache zu finden und Bilder "und
Ausdrucksformen zu haben, die uns halten, stabilisieren und Gleichgewicht geben". Es gelte nun die Fähigkeit zu artikulieren, was uns trägt und bewegt, also: "sprach- und handlungsfähig Glauben", sei ein Thema, das es lohne, immer wieder in den Blick zu nehmen – gerade in Zeiten, in denen Halt und Hoffnung oft so weit weg scheinen.

Anna-Nicole Heinrich plädiert klar dafür, auch neue und experimentelle Formen des ökumenischen Miteinanders zu suchen, damit die Kirche mit ihrer Botschaft in der Welt Gehör findet.