TV-Tipp: "Süßer Rausch"

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17. Oktober, ZDF, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Süßer Rausch"
Das Prädikat "süffig" mag nicht originell klingen, wenn sich ein TV-Zweiteiler mit einer Traditionsbrennerei beschäftigt, aber es passt einfach perfekt: Im Mittelpunkt von "Süßer Rausch" steht eine Familie, die es gewohnt ist, unangenehme Themen unter den Teppich zu kehren. Das geht schon im Leben meistens nicht gut, in der Fiktion aber erst recht nicht.

Im Lauf der Zeit pflegt sich derart viel seelischer Unrat anzusammeln, dass es zwangsläufig irgendwann zum großen Knall kommt, wenn niemand darüber spricht. In diesem Fall ist der Tod des Patriarchen der Auslöser. Prompt fällt die schillernde Fassade von Familie Preus quasi über Nacht in sich zusammen.

Eine bizarre Häufung von Schicksalsschlägen sorgt dafür, dass sich das Drama zur Tragödie wandelt: Witwe Ricarda hat Krebs, Schwester Julia, eine trockene Alkoholikerin, erlebt einen Rückfall, für Ex-Frau Constanze platzt ein Lebenstraum; bei der Lektüre von Sathyan Rameshs Drehbuch muss Désirée Nosbusch, Leslie Malton und Suzanne von Borsody angesichts des Spielmaterials, das ihnen die Geschichte bietet, das Herz aufgegangen sein. 

In anderen Händen hätte aus "Süßer Rausch" ein durchaus fragwürdiges Werk werden können (Regie: Sabine Derflinger): Ramesh, spätestens seit seinem kunstvoll komponierten Ensemble-Film "Eine Nacht im Grandhotel" (2011) einer der spannendsten Autoren hierzulande, hat sich eine Handlung ausgedacht, die auch dank gleich mehrerer verbotener Lieben genug Stoff für eine Daily Soap bieten würde.

Die Botschaft wiederum ist eher schlicht: Wie einfach könnte doch das Leben als Frau ohne Männer sein! Tatsächlich sind die männlichen Rollen fast die interessanteren: Während die drei Hauptdarstellerinnen ihren Raum weidlich und mitunter allzu exaltiert nutzen, muss zum Beispiel Rainer Bock weitaus weniger Aufwand betreiben, um eine ähnliche Wirkung zu erzielen.

Den komplexen Inhalt des Zweiteilers wiederzugeben, ist fast nicht möglich: Ramesh findet immer wieder neue Facetten dieser ganz normal kaputten Familie, die ein weiteres Drama auslösen. Das überraschende Ableben von Firmenchef Karl (Sven-Eric Bechtolf) ausgerechnet am Morgen nach jener Nacht, in der er und Zwillingsschwester Julia (Malton) im Kreise ihrer einander in inniger Abneigung zugetanen Sippenmitglieder einen runden Geburtstag gefeiert haben, bringt zum Vorschein, was sich bislang ganz gut kaschieren ließ.

Die drei Frauen streiten sich darum, wer das Unternehmen in Zukunft führen darf, dabei liegen die Geschicke längst nicht mehr in ihrer Hand: Robert (Hilmi Sözer) hat sich als Karls rechte Hand stets als natürlichen Nachfolger gesehen und heimlich allerlei in Streubesitz befindliche Aktien aufgekauft; nun hat er eine Sperrminorität.

Zu allem Überfluss zaubert Firmenanwalt Hans (Bock), Ehemann von Constanze, zur Überraschung und natürlich auch zum Leidwesen aller Beteiligten einen weiteren Erben aus dem Hut: Ein Verhältnis Karls mit einer jungen Mitarbeiterin ist nicht ohne Folgen geblieben. Die beiden Töchter, die ihm Ricarda (Nosbusch) geschenkt hat, sind ohnehin mehr als gestraft: Marguerite (Antonia Bill) mit einem Mann (Anton Spieker), der sie regelmäßig verprügelt, was dem Film einige äußerst unangenehme Szenen beschert, und Simone (Lilly Charlotte Dreesen) mit Drogensucht.

Als läge in all’ diesen Konstellationen nicht schon genug Konfliktpotenzial, beginnt Julias verheirateter Sohn (Hannes Wegener), dem die Mutter stets verheimlicht hat, wer sein Vater ist, eine Affäre mit Simone. Julia wiederum wird entführt, allerdings zu ihrem Besten: Sie hat kürzlich einen alkoholkranken Richter (Jörg Schüttauf) davor bewahrt, sich in den Tod zu saufen; jetzt will sich der Mann revanchieren.

Es ist nicht viel Fantasie nötig, um sich auszumalen, dass diese Geschichte über eine Sippe, deren um sich selbst kreisende Mitglieder laut Constanzes Mutter (Marie Anne Fliegel) samt und sonders "verlassene, verlorene, verängstigte Kinder" sind, locker auch für eine sechsteilige Serie gereicht hätte. Der Handlungsreichtum hat jedoch zur Folge, dass die Szenenwechsel mitunter recht sprunghaft, nicht immer plausibel und daher wie aneinandergereiht wirken.

Andererseits verleiht die Materialfülle dem Zweiteiler eine enorme Dichte, zumal Ramesh für einige völlig unterwartete Wendungen sorgt, kaltblütiger Mord mit perfektem Alibi inklusive. Die Ansiedlung der Handlung in Venetien ist zwar nicht ganz schlüssig, weil alle Beteiligten Deutsche sind, sorgt aber für sehenswerte Schauplätze. Die erlesenen Bilder (Kamera: Peter Joachim Krause) sind ähnlich eindrucksvoll wie die Namen der ausnahmslos sehenswerten Mitwirkenden; als Gäste finden sich unter anderem Oliver Mommsen als Marguerites Psychotherapeut, der einem fatalen Missverständnis erliegt, sowie Helmfried von Lüttichau als Reporter einer Klatschpostille, die dafür sorgt, dass Constanzes Selbstverständnis als Künstlerin wie eine Seifenblase platzt. Teil eins steht in der Mediathek.