TV-Tipp: "Billy Kuckuck: Mutterliebe"

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30. September, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Billy Kuckuck: Mutterliebe"
Freitagsfilme im "Ersten" sollen eine Art Brücke ins Wochenende und kurzweilig sein, vermitteln aber auch oft einen gewissen Anspruch. "Mutterliebe" ist aber im Kern ein Drama, auf den ersten Blick über das ganz normale Schicksal einer Alkoholikerin, die in die Obdachlosigkeit geraten ist. Erst nach und nach stellt sich raus, dass die Dinge komplizierter sind.

Für Normalsterbliche beschreibt das Wort "Vorgang" etwas, das gerade passiert. Im Reich der Ämter bezeichnet der Begriff jedoch etwas völlig Anderes, und vermutlich würde es kafkaeske Züge annehmen, wenn Außenstehende versuchen sollten, die verschlungenen Pfade nachzuvollziehen. Aus Behördensicht ist es zum Beispiel unmöglich, einen Vorgang mittendrin abzubrechen; und davon handelt die vierte Episode der ARD-Reihe "Billy Kuckuck".

Sie beginnt mit der Zustellung eines Vollstreckungsbescheids: Jule Hellwig (Anja Knauer), Putzfrau in einem Bowlingcenter, hat eine Werkstattrechnung nicht bezahlt; außerdem gibt es offene Protokolle wegen widerrechtlichen Parkens auf einem Supermarktparkplatz. Weil sich die Frau gegenüber der Gerichtsvollzieherin gänzlich unkooperativ verhält, klebt Billy Kuckuck (Aglaia Szyszkowitz) kurzerhand ein Pfandsiegel auf ihren Wagen, der umgehend abgeschleppt wird. Tags drauf sieht sie zufällig, dass Jule Hellwig die Nacht im Eingangsbereich eines Geschäfts verbracht hat. Billy hat ihr buchstäblich das Dach über dem Kopf genommen: Die Frau lebt in ihrem Auto.

Freitagsfilme in der ARD sollen eine Art Brücke ins Wochenende und daher entsprechend kurzweilig sein, haben aber nicht selten einen gewissen Anspruch. Tatsächlich ist "Mutterliebe" im Grunde ein Drama, denn David Ungureit schildert in seinem ersten Drehbuch für "Billy Kuckuck" auf den ersten Blick das ganz normale Schicksal einer Alkoholikerin, die in die Obdachlosigkeit geraten ist. Erst nach und nach stellt sich raus, dass die Dinge etwas komplizierter sind. Als Billy klar wird, was sie getan hat, ist es zu spät, um den Vorgang rückgängig zu machen.

Ihre beste Freundin, die Richterin Susanne (Eva Verena Müller), empfiehlt ihr einen Anwalt, der sich als ebenso attraktiv wie kompetent erweist: Elias Demirel (Ben Braun) sorgt dafür, dass Jule zumindest den Wagen zurückbekommt. Billy empfiehlt ihr zudem die Einrichtung eines pfändungssicheren "P-Kontos", damit gewährleistet ist, dass ihr genug Geld zum Leben bleibt. Davon hat die Frau allerdings, wie die Gerichtsvollzieherin zu ihrer Verblüffung feststellt, mehr als genug, denn ihre finanzielle Schieflage hat einen ganz anderen Grund: Jule hebt jeden Monat tausend Euro ab; was sie damit macht, will sie nicht verraten. Billys Hilfsbereitschaft zum Trotz verhält sie sich gemäß ihrem Lebensmotto "Irgendwie geht es immer weiter" ohnehin auch weiterhin reichlich stur.

"Auf Kante genäht" lautete der Arbeitstitel des Films. Er verdeutlicht gerade in diesen Zeiten, dass mitunter ein winziger Auslöser genügt, um eine soziale Abwärtsspirale in Gang zu setzen; am Ende stehen Menschen, die niemals damit gerechnet hätten, auf der Straße. Mitunter würde bereits ein bisschen mehr Empathie und Menschlichkeit genügen, um die Rahmenbedingungen etwas erträglicher zu machen.

Gegenentwurf zu Billy Kuckuck ist der Leiter des Supermarktes, auf dessen Parkplatz Jule übernachtet. Der Typ sorgt dafür, dass auf jede gute Nachricht umgehend wieder eine schlechte folgt. Kaum hat Anwalt Demirel die eine Klage vom Tisch, folgt bereits die nächste: wegen Diebstahls, weil sich Jule nach Ladenschluss an den weggeworfenen Lebensmitteln bedient hat.

Geschickt sorgt Ungureit zudem dafür, dass Billy das Schicksal der Frau nachvollziehen kann, wenn auch nicht, weil sie von einem sozialen Absturz bedroht ist: Die alte Wohnung ist gekündigt, die neue wegen eines Wasserschadens nicht bezugsfertig. Vorübergehend kommt sie bei Susanne unter, aber bei der sexuell recht umtriebigen Freundin herrscht für ihren Geschmack zu viel Verkehr; also bleibt ihr nichts anderes übrig, als zu ihrer Mutter zu ziehen.

Dort gerät sie allerdings vom Regen in die Traufe: Christel (Ursela Monn) hat entdeckt, dass es auch für ältere Menschen digitale Partnerschaftsvermittlungen gibt. Auf dieser Ebene hat der Film seine einzigen Schwächen, denn Regisseur Thomas Freundner, der bereits die Episoden zwei und drei inszeniert hat, bleibt der Vorlage aus dem Auftakt ("Margot muss bleiben", 2018) treu: Dass Christel eine Nervensäge ist, gehört zur Rolle, doch die entsprechenden Szenen wirken nach wie vor betulich.

Das gilt auch für Billys hartnäckigen Verehrer Holger (Rüdiger Klink). Ohne diese an Karikaturen grenzenden Nebenfiguren wäre "Billy Kuckuck" deutlich ernstzunehmender. Geradezu wohltuend sind daher die dezent als romantische Komödie inszenierten Momente zwischen Szyszkowitz und Ben Braun, der der Reihe hoffentlich noch eine ganze Weile erhalten bleibt.