TV-Tipp: "Morgen sind wir frei"

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27. Juli, Arte, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Morgen sind wir frei"
Beate ist Naturwissenschaftlerin. Sie glaubt weder an Schicksal noch an Zufälle und erst recht nicht an eine göttliche Fügung, sondern nur an das, was sie sieht und spürt.

Zu Beginn des Films rezitiert sie aus einem persischen Gedicht über das Ende des Frühlings und gesteht, dass sie dieses Ende nicht kommen gesehen hat. "Morgen sind wir frei" spielt 1979, die Handlung trägt sich größtenteils im Iran zu. Das Ende des Frühlings ist das böse Erwachen nach der iranisch-islamischen Revolution, als zwar der Schah davongejagt werden konnte, aber das Volk vom Regen in die Traufe kam: weil das neue Regime alle hinrichten ließ, die sich der Konterrevolution verdächtig machten; und das war im Grunde jeder, der dagegen aufbegehrte, dass Frauen fortan in der Öffentlichkeit Kopftuch tragen mussten, dass die Lehrpläne an den Universitäten islamisiert und dass die Kinder in den Schulen religiös indoktriniert wurden. 

Hossein Pourseifi ist 1976 in Teheran zur Welt gekommen und mit seinen Eltern als Neunjähriger nach Deutschland ausgewandert. In seinem Debütfilm erzählt er die Geschichte eines deutsch-iranischen Paars, das den umgekehrten Weg geht: Beate (Katrin Röver) und der kommunistische Exil-Journalist Omid (Reza Brojerdi) haben sich bei einem Konzert in Leipzig kennengelernt. Sie sind glücklich verheiratet und haben eine gemeinsame Tochter, Sarah (Luzie Nadjafi). Vor zwölf Jahren hat Beate ihrem Mann versprochen, ihn in den Iran zu begleiten, wenn der Schah eines Tages abdanken müsste; diese Hoffnung war Ende der Sechziger vermutlich ähnlich realitätsfern wie 1979 die Vorstellung, dass zehn Jahre später die Mauer fallen würde. Als der Schah tatsächlich stürzt, erinnert Omid seine Frau an ihr Versprechen: Er möchte dabei helfen, in seiner Heimat eine Gesellschaft aufzubauen, in der alle gleich und trotzdem frei sind.

Dass Beate mitkommt, hat auch berufliche Gründe: Die Chemikerin darf in der DDR nicht promovieren, weil sie nicht linientreu genug ist. Im Iran herrscht dagegen eine Aufbruchstimmung, von der sie sich zunächst gern anstecken lässt. 

Die Einschränkung der Pressefreiheit sowie erste Hinweise, dass die Regierung von Ayatollah Chomeini eine Kulturrevolution plant und eine Religionsdiktatur einführen will, werden von Omid, der zum Chefredakteur einer antiimperialistischen Tageszeitung berufen worden ist, noch als Geburtswehen der jungen Republik erklärt. Es kommt allerdings immer wieder zu Auseinandersetzungen mit seiner Nichte (Zar Amir Ebrahimi), die früh durchschaut, dass den Mullahs ein mittelalterliches Patriarchat vorschwebt.

Schockiert muss Beate mitansehen, wie eine Uni-Kollegin während einer Demonstration auf offener Straße erschossen wird. Aber erst der iranisch-irakische Krieg und die gnadenlose Verfolgung von Kritikern öffnen Omid die Augen. Als er in einem Leitartikel anonym das Regime angreift und sein Leben in Gefahr ist, bittet er seine Frau, gemeinsam mit der Tochter in die DDR zurückzukehren. Beate könnte problemlos ausreisen, doch Sarah darf das Land nicht verlassen.

"Morgen sind wir frei" ist vor allem darstellerisch sehenswert. Das Etikett "Entdeckung" wäre bei Katrin Röver zwar nicht angebracht, weil sie auch schon in der Tragikomödie "Dinky Sinky" (2018) als Frau mit unerfülltem Kinderwunsch beeindruckt hat, aber einem größeren Publikum dürfte sie ebenso unbekannt sein wie ihr nicht minder eindrucksvoller Filmpartner Reza Brojerdi. Pourseifis Regiestil ist dagegen nicht weiter ungewöhnlich, zumal Debütanten in der Regel nur wenig Geld zur Verfügung steht, weshalb die Spielszenen größtenteils aus Innenaufnahmen bestehen. Dass das Erstlingswerk trotzdem aufwändig wirkt, hängt mit der handwerklich ausgezeichneten Integrierung vieler dokumentarischer Aufnahmen zusammen. Anfangs, als Beate und Omid noch in der DDR sind, informieren Nachrichtenausschnitte über die Ereignisse im Iran.

Nach dem Umzug hat sich Pourseifi beim Archivmaterial bedient, um das öffentliche Leben abzubilden. Diese Bilder fügen sich so harmonisch in die Handlung, dass die Übergänge oft fast unmerklich sind. Während der Szenen im Heim der Familie fällt der Blick der Kamera (Patrick Orth) immer wieder zum Haus gegenüber, auf dessen Fassade ein großes Chomeini-Porträt gemalt worden ist. Der ohnehin in ganz Teheran omnipräsente Ayatollah scheint Beate und Omid fest im Blick zu haben; die Assoziation zur George Orwells "Großem Bruder", der seine Schäfchen überwacht, drängt sich förmlich auf. Pourseifi ist beim Fernsehfilmfestival Baden-Baden 2020 mit dem MFG-Star Regiepreis ausgezeichnet worden. Arte zeigt im Anschluss um 21.50 Uhr "Mit wehenden Haaren gegen die Mullahs", eine Dokumentation über den Protest gegen die Verschleierungspflicht im heutigen Iran.