Schmähung oder gutmütige Spöttelei

Bärchen Lebkuchenherz
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Spitznamen wollen etwas Spezielles oder Typisches einer Person zum Ausdruck bringen, manchmal wollen sie aber auch nur ärgern oder gar verletzen.
Spitznamen: Heiter bis boshaft
Schmähung oder gutmütige Spöttelei
Der Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs im Gespräch
Spitznamen bringen oft auf den Punkt, was die Leute von einer Person halten oder wie sie wirkt - ähnlich einer Karikatur. Der emeritierte Würzburger Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs hat nach Spitznamen in der Literatur gesucht und darüber ein Buch geschrieben.

Dabei kommt der Professor, der in Hildesheim sein privates Institut für Liturgie- und Alltagskultur betreibt, zu dem Ergebnis: Spitznamen sind oft liebenswürdig-heiter gemeint, politisch korrekt waren sie aber früher selten. Mitunter können sie auch boshaft und verletzend sein, weiß er aus eigener Erfahrung.

epd: Woher kommt es, dass Menschen - manchmal auch, ohne dass sie davon wissen - mit Spitznamen bedacht werden?

Guido Fuchs: Dafür gibt es viele Gründe. Manchmal ist es so, dass man den Namen eines Menschen, der einem täglich begegnet, nicht kennt. Aber weil er vielleicht ständig eine Zigarre im Mund hat, nennt man ihn schließlich "Die Zigarre", und jeder weiß, wer gemeint ist. Ein Spitzname baut auch Distanz ab - gerade in hierarchischen Institutionen wie früher den Schulen -, er "erdet" Vorgesetzte, macht sie menschlicher. Spitznamen wollen etwas Spezielles oder Typisches einer Person zum Ausdruck bringen, ähnlich einer Karikatur. Manchmal werden sie freilich auch nur gebraucht, um andere zu ärgern, etwa bezüglich körperlicher Merkmale oder eines Missgeschicks.

Ist es eine Schmach, einen Spitznamen zu haben - oder nicht viel eher, wenn man keinen hat?

"Wenn ein verletzender Spitzname einen ärgert, sollte man ihn so lange ignorieren, bis auch andere davon ablassen."

Fuchs: Wer einen Spitznamen hat, selbst wenn er boshaft gemeint ist, wird zumindest von anderen wahrgenommen. In Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick" wünscht sich der Ich-Erzähler Maik Klingenberg, der in seiner Klasse als Langweiler gilt, nichts sehnlicher, als einen Spitznamen zu tragen. Wenn ein verletzender Spitzname einen ärgert, sollte man ihn so lange ignorieren, bis auch andere davon ablassen. Anders lässt er sich kaum aus der Welt schaffen.

Liturgiewissenschaftler Guido Fuchs schreibt Ratgeber wie die "Kleine Geschichte des schlechten Benehmens in der Kirche".

Was unterscheidet Spitznamen im öffentlichen Bereich, etwa für Politiker, von denen im privaten Bereich?

Fuchs: Ob "Birne" für Helmut Kohl oder "Mutti" für Angela Merkel: Solche und ähnliche Spitznamen kommen auch privat vor. "Lügenbaron" für Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg war aus bestimmten Gründen eben naheliegend. Der Unterschied liegt im Fokus der Aufmerksamkeit, in der die damit bedachten Menschen stehen. In der Politik werden Spitznamen bewusst zur Auseinandersetzung und persönlichen Diskriminierung des politischen Gegners gebraucht - etwa "Willy Weinbrand" für Willy Brandt.

"Anhänger Martin Luthers mit Spitznamen geschmäht"

Übrigens gab es das auch in der Kirche: Der evangelische Theologe Nikolaus Selnecker wurde schon im 16. Jahrhundert als Anhänger Martin Luthers mit Spitznamen geschmäht: "Schelmlecker", "Seelnecator" (Seelenmörder) oder auch "Lutheräfflein". Er teilte umgekehrt auch aus.

Welche Spitznamen aus der Recherche sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben und warum?

Fuchs: Ich habe mich ja für literarische Spitznamen interessiert. Und da gibt es manche, die tauchen schon als Buchtitel auf, wie beispielsweise "Der Seelenbräu" von Carl Zuckmayer. Als ein solcher wird der Pfarrer eines Dorfes bezeichnet. Nicht etwa, weil er der Gegenspieler des Dorfwirtes ist, sondern weil er an Ostern immer ein Chorstück singen lässt, in dem "du Seelenbräu - du Seelenbräutigam" vorkommt. Der Inhaber des Gasthauses wird im Dorf dann "der Leibesbräu" genannt. Es sind meist die Entstehungsgeschichten solcher und anderer geistreichen Spötteleien mittels der Spitznamen.

Boshaft, spöttisch, auch mal liebevoll - bei Spitznamen ist vieles erlaubt. Was aber geht gar nicht?

Fuchs: Früher richtete man sich bei boshaften Spitznamen nicht nach politischer Korrektheit. Sie sollen ja "spitz" sein, das kann auch verletzen. Inzwischen ist man da vorsichtiger, religiöse oder rassistische Spitznamen zu gebrauchen. Aber in der Literatur des letzten Jahrhunderts spiegeln sich noch bestimmte Einstellungen in den verwendeten Spitznamen wie "Isi" oder "Itzig" für jüdische Menschen, "Bimbo" und "Mohrenkopf" für Dunkelhäutige.

Menschen mit Spitznamen zu belegen, ist übrigens im Judentum laut Talmud - also laut der Auslegung der biblischen Gesetze - verboten. Einige sind jedoch der Meinung, dass damit nur herabwürdigende, verletzende Spitznamen gemeint sind. Jene, die nicht kränken, sondern die Bezeichneten in ihren Fähigkeiten oder Eigenschaften eher herausheben, seien hingegen erlaubt. Aber ehrlich: Das nimmt dann auch etwas von ihrem Reiz...

Wenn man über Spitznamen schreibt, will man da nicht jeden im eigenen Umfeld gleich bedenken?

"Es hat etwas mit Witz und Esprit zu tun - oft zumindest."

Fuchs: Umgekehrt: Weil ich selbst - als Jugendlicher im Internat, beim Studium wie auch später noch - andere mit Spitznamen bedacht habe, lag mir das Thema nahe. Es hat etwas mit Witz und Esprit zu tun - oft zumindest. Außerdem habe ich selbst etliche getragen oder ertragen müssen.

Zum Beispiel?

Fuchs: Da gibt es einige. Ich empfand alle mir angehängten Spitznamen als Ausdruck einer letztlich gutmütigen Spöttelei - mal mehr, mal weniger geistreich. Im Internat wurde ich zeitweilig "Schwabbel" gerufen. Für die Faschingsbälle dort habe ich eine Combo mit Kaffeehaus-Musik zusammengestellt und "Die Schwabbels" genannt - man lernt, mit Spitznamen umzugehen. Ob es welche gab, die nur hinter vorgehaltener Hand verwendet wurden, weiß ich nicht. Insofern hatte ich Glück. Anderen ging und geht es vielleicht nicht so.