TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Mutter und Sohn"

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1. April, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Mutter und Sohn"
Eine Frau stirbt in den Dünen und ein junger Mann ist an Leukämie erkrankt - schwere Fälle, die Tanja Wedhorn als Ärztin auf Rügen zu bewältigen hat. Entscheidend dabei sind natürlich die emotionalen Verwicklungen jenseits der Medizin.

Streng genommen müsste "Mutter und Sohn", der dreizehnte Film aus der sehenswerten Reihe mit Tanja Wedhorn als Ärztin auf Rügen, "Mütter und Söhne" heißen: Nora Kaminski kämpft ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit um das Leben eines jungen Mannes und muss sich gleichzeitig mit einem Sonderling auseinandersetzen, der sie für den Tod seiner Mutter verantwortlich macht.

Schuld und Schuldgefühle sind das zentrale Thema des fünften Drehbuchs von Marcus Hertneck für "Praxis mit Meerblick". Der Film beginnt mit dem Zusammenbruch eines Jugendlichen vor der Praxis von Nora und ihrem Partner (Benjamin Grüter). Weil sie zu einem Notfall gerufen wird, überlässt sie Moritz (Frederic Balonier) dem Kollegen: In den Dünen ist eine Frau kollabiert, sie stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus. Natürlich gehört der Tod zum notärztlichen Alltag, aber dieser Fall schlägt Nora aufs Gemüt: Die Frau ist vor einiger Zeit mit Schmerzen im Bein in die Praxis gekommen. Nora hat sie umgehend zur Untersuchung in die Klinik überwiesen, doch die Patientin hat den Termin verschleppt. Es kam zur Lungenembolie und jetzt, womöglich als Spätfolge, zum Schlaganfall; nun will der Sohn, Markus Hebestreit (Steffen Schroeder), die Ärztin verklagen.

Wer die Reihe regelmäßig verfolgt, erinnert sich an den Auftakt, "Willkommen auf Rügen" (2017): Nora ist überhaupt nur auf der Insel gelandet, weil sie wegen eines vermeintlichen Fehlers ihren Job auf einem Kreuzfahrtschiff verloren hat. Am Ableben des Patienten traf sie keine Schuld, ebenso wenig wie am Tod von Frau Hebestreit. Trotzdem plagt sie ihr schlechtes Gewissen – und nun kommt der zweite und eigentlich zentrale Handlungsstrang ins Spiel.

Moritz leidet unter Leukämie, nur eine Stammzellenspende kann sein Leben retten. Blutsverwandte wären die naheliegende Lösung, doch die Mutter, Katja Daskow (Vera Kasimir), scheidet aus: Sie hat den Jungen zwar wie ein eigenes Kind aufgezogen, ihn aber nicht zur Welt gebracht; unversehens wandelt sich der Film zum Familiendrama, denn er hatte davon bislang kein Ahnung.

Die Arbeiten von Marcus Hertneck, der für Wedhorn auch alle Folgen der früheren ARD-Freitagsreihe "Reiff für die Insel" geschrieben hat, zeichnen sich in der Regel durch eine traumwandlerisch sichere Balance zwischen Tragödie und Komödie aus. Das ist diesmal anders: Die Geschichte ist viel zu ernst, um komisch zu sein.

Für kurze Momente des Vergnügens sorgt allein Noras Freundfeind Dr. Heckmann (Patrick Heyn), der sich verzweifelt um ihre Gesundheit sorgt, denn als Hebestreit die Ärztin beim Joggen zur Rede stellen wollte, ist sie vor ein Auto gelaufen. Das hat zu einem Schädel-Hirn-Trauma geführt; Heckmann sieht die Gefahr einer Hirnblutung.

Diese Ebene ergänzt das Thema des Films um einen weiteren Aspekt. Der Fahrer, Max Jensen (Bernhard Piesk), nimmt alle Schuld auf sich und ist derart rührend in seiner Reue, dass die Begegnungen der beiden durchaus romantisches Potenzial haben, aber dafür hat Nora gar keine Zeit: Sie schlägt Heckmanns Warnungen in den Wind, um Moritz’ leibliche Mutter zu finden, zumal sie im Koma von seinem Tod geträumt hat. Dass Katja Daskow streng religiös ist, die Homosexualität des Jungen für eine Sünde und die Krankheit daher für eine Strafe Gottes hält, wäre als zusätzliche Bürde allerdings nicht auch noch nötig gewesen.

Regie führte Jan Růžička, es ist sein achter Beitrag für die Reihe; er hat auch den ersten Film inszeniert. Seine Arbeiten bieten regelmäßig eine sehenswerte Mischung aus Anspruch und Unterhaltung; er gehört schon seit vielen Jahren zu den Stammkräften dieses Sendeplatzes, zumal er auch die Mitwirkenden stets zu ausgezeichneten Leistungen führt. "Praxis mit Meerblick" zeichnet sich ohnehin durch die Treue der Stammkräfte aus. Deshalb wirkt auch Dirk Borchardt wieder mit.

Just in dem Moment, als sich die Fans der Reihe womöglich fragen, was denn eigentlich mit Noras Ex-Mann ist, kehrt der erfolgsverwöhnte Anwalt von einer Pilgerreise zurück und freut sich über seine neue Rolle als Großvater, denn es gibt noch eine dritte Mutter/Sohn-Ebene: Noras Sohn Kai (Lukas Zumbrock) und Freundin Mandy (Morgane Ferru) plagen sich mit den üblichen Belastungen berufstätiger junger Eltern herum, weshalb der Opa gerade zur rechten Zeit auftaucht; dank Borchardt kommt doch noch eine gewisse Heiterkeit in den Film.

In den nächsten Episoden der aktuellen Trilogie wird es garantiert auch wieder Romantik geben: Der Unfallfahrer, Max Jensen, hat offenkundig Gefallen an Nora gefunden und darf sein Glück weiter versuchen.