TV-Tipp: "Atomkraft, die grüne Zukunft?"

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29. März, Arte, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Atomkraft, die grüne Zukunft?"
Der französische Dokumentarfilm behandelt das Thema Atomkraft, das wieder Konjunktur hat, informativ und ohne Ideologie. Die präsentierten (komplizierten) Fakten sprechen am Ende für sich.

Damit der Klimawandel zumindest verlangsamt werden kann, sollen Kohle und Gas als Energielieferanten der Vergangenheit angehören; die Zukunft gehört Wind und Sonne. Aber was ist mit der Gegenwart? Und wo kommt der Strom in windstillen Nächten her?

Die Antwort ist von einer verführerischen Schlichtheit: Bei der Energiegewinnung durch Atomkraft wird kein CO2 ausgestoßen; deshalb gilt sie dank emsiger Lobbyarbeit plötzlich als "grüne Technologie". Ihre Befürworter gerieren sich als die wahren Umweltschützer, und ein Thema feiert ein Comeback, das zumindest hierzulande seit der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 tot und begraben ist.

Der französische Dokumentarfilm "Atomkraft, die grüne Zukunft?" erinnert differenziert an die Risiken, die mit der Kernenergie verbunden sind. Ghislaine Buffard schaut zwar zwischendurch auch mal über den Tellerrand, konzentriert sich im Wesentlichen jedoch auf Frankreich, denn dort werden 70 Prozent der Elektrizität durch Kernspaltung produziert. Das Misstrauen gegenüber dieser Form der Energiegewinnung ist jenseits des Rheins nicht annähernd so tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelt wie hierzulande.

In den Achtzigerjahren gingen die westdeutschen Proteste gegen Atomkraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen und Endlagerstätten in Brokdorf, Wackersdorf und Gorleben Hand in Hand mit Demonstrationen gegen Nachrüstung und Nato-Doppelbeschluss. Damals ist eine ganze Generation von dieser Denkweise geprägt worden; Filme wie "WAAhnsinn – Der Wackersdorf-Film" (1986) oder "Restrisiko oder Die Arroganz der Macht" (1988) setzten den Protesten filmische Denkmäler.

Buffard hat ihren Film jedoch aus einer ganz anderen Haltung heraus gedreht: Sie geht das Thema frei von Ideologie und sehr sachlich an. Das ist respektabel, hat aber auch zur Folge, dass die neunzig Minuten überaus anspruchsvoll sind, weil praktisch unentwegt Informationen vermittelt werden, und zwar größtenteils auf der akustischen Ebene: entweder in Form des Kommentars oder durch die Aussagen der (in der Tat überwiegend männlichen) Experten.

Optisch ist das Werk weit weniger anspruchsvoll. Die Bilder bestehen überwiegend aus austauschbaren Aufnahmen der verschiedenen Betriebsgelände. Komplizierte Vorgänge wie etwa die Kernspaltung werden durch animierte Grafiken illustriert, aber zu diesem Mittel hätte die Autorin ruhig öfter greifen können. Mitunter wären auch Übersetzungen hilfreich; die meisten Menschen werden keine Ahnung haben, was ein Kernphysiker damit meint, wenn er sagt, Tritium sei "mutagen und genotoxisch".

Der Film ist das Ergebnis einer fundierten Recherche, die die blumigen Aussagen der Atombehörden stets durch entsprechende Fakten konterkariert. Geschickt verzichtet Buffard zudem auf moralische Argumente. Die Schlussfolgerungen überlässt sie ihrem Publikum. Die mehrheitlich dem Staat gehörenden französischen Unternehmen zeichnen sich durch eine fragwürdige Informationspolitik aus. Veröffentlich wird nur, was sich nicht geheim halten lässt, Zwischenfälle sind vertuscht worden.

Das funktioniert, weil sie sich selbst überwachen. Buffard hat unter anderem untersucht, wie zuverlässig zum Beispiel die Kontrollen des in die Flüsse ausgeleiteten Abwassers sind. Was sie dabei rausgefunden hat, hat Skandalpotenzial: Die offiziellen Wasserproben werden gern an Stellen entnommen, wo die Giftstoffwerte garantiert niedrig sind. Anderswo ist die Kontamination des Wassers deutlich höher.

Ein zweiter Schwerpunkt des Films gilt der Wiederverwertung. Sehr schwach radioaktives Material darf bedenkenlos in den Produktkreislauf zurückkehren. Geradezu grotesk ist das von den Energiekonzernen verbreitete Märchen, das Uran werde wiederaufbereitet; das ist zwar möglich, bislang aber Theorie geblieben. Natürlich geht Buffard auch auf die gigantischen Kosten ein: Beim Bau sämtlicher Kraftwerke der neuen Generation sind sie regelrecht explodiert; zum Teil liegen sie um mehrere 100 Prozent über dem ursprünglich veranschlagten Preis.

Auch die Frage nach der Endlagerung ist nach wie vor nicht befriedigend beantwortet. Frankreich will das Material, das noch mehrere hunderttausend Jahre strahlen wird, in Bure im Nordosten des Landes in 500 Metern Tiefe umgeben von Tongestein lagern. Ein dort lebender Naturwissenschaftler führt mit Hilfe seines Gasherds vor, welche Folgen ein Brand haben könnte: Der Ton zerplatzt in viele kleine Bruchstücke. Ein Experte für Atompolitik weist zudem auf die Arroganz dieses Unterfangens hin: Wer kann heute schon sagen, was in hundert, geschweige denn in tausend Jahren ist? Wie die Alternative aussehen kann, zeigt Buffard zum Schluss mit einem Ausflug in eine Schwarzwaldgemeinde, die ihre Versorgung durch erneuerbare Energien selbst in die Hand genommen hat.