TV-Tipp: "Tatort: Der Pott"

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1. Februar, WDR, 23.40 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Der Pott"

Die Idee klingt so absurd, dass sie wie ein typischer Drehbucheinfall wirkt: Das Bundeskriminalamt zieht in Erwägung, seine Expertise der Privatwirtschaft zur Verfügung zu stellen, damit sich die Sicherheitsdienste großer Unternehmen besser gegen Demonstrationen oder Werksbesetzungen zur Wehr setzen können. Diese Überlegung, die es Ende der Achtzigerjahre tatsächlich gegeben hat, lässt sich nur nachvollziehen, wenn man sich die Stimmung jener Jahre vergegenwärtigt und sich an die Bilder prügelnder Polizisten erinnert; die entsprechenden Stichwörter sind Startbahn West, Wackersdorf und Hafenstraße.

Zunächst ist das Szenario in diesem "Tatort" (Erstausstrahlung: 1989) jedoch nur eine Randnotiz: Thanner (Eberhard Feik) hat sich beim BKA beworben und wird Mitglied der Bonner Außenstelle. Gleich zweimal wird ein Ausspruch Konrad Adenauers zitiert: Wenn die Ruhr brennt, gibt es im Rhein nicht genug Wasser, um sie zu löschen.

Die Ruhr brennt, bildlich gesprochen, bereits lichterloh: Im Revier zwischen Dortmund und Duisburg werden reihenweise Zechen und Stahlwerke geschlossen; die BKA-Sonderkommission, die verhindern soll, dass aus den Streiks ein Flächenbrand wird, heißt daher sinnigerweise "Rheinwasser".

Auch wenn die Soko fiktiv ist: Selten war ein "Tatort"-Krimi so nah am Puls der Zeit wie "Der Pott". Der doppeldeutige Titel bezieht sich weniger auf den "Ruhrpott", sondern auf eine Lore voller Spenden, mit denen eine Gruppe von Stahlwerksbesetzern unterstützt werden soll. Über 500.000 Mark sind dabei zusammengekommen, doch als die Streikenden und ihre Sympathisanten den Erfolg feiern wollen, erleben sie eine böse Überraschung: Aus der Lore kullern ein Haufen Münzen und eine Geldzählerin; die Spenden sind gestohlen worden.

Kurz drauf wird ein gewerkschaftlicher Vertrauensmann, der ebenfalls zu den Geldzählern gehört hatte, ermordet. Jetzt kann sich Schimanski (Götz George), dessen Herz selbstredend für die Streikenden schlägt, auch mit der Suche nach dem "Pott" befassen, und weil Thanner nach Bonn gezogen ist, macht er kurzerhand den Kollegen Wilms (Thomas Rech) aus dem Raubdezernat zum neuen Partner. Das Duo findet zwar die Räuber der Streikkasse, aber den Vertrauensmann haben die Diebe nicht auf dem Gewissen. Die eigentlichen Gegenspieler der Polizei sitzen ohnehin nicht in Duisburg, und da trifft es sich gut, dass Schimanski mit Thanner einen Mann an der Quelle hat.

Das Drehbuch stammt von Axel Götz und Thomas Wesskamp, die im Jahr zuvor für Schimanski und Thanner den Grimme-preisgekrönten Krimi "Moltke" geschrieben hatten. Das BKA ist im "Tatort" ja ohnehin immer mindestens lästig, aber hier wird die Rivalität auf die Spitze getrieben; auch wenn sich Schimanski zunächst keinen Reim darauf machen kann, dass er bei seinen Ermittlungen dauernd einem selbstgefälligen Schnösel mit Anzug und Krawatte über den Weg läuft. Gespielt wird der Beamte von Miroslav Nemec, der zwei Jahre später gemeinsam mit Udo Wachtveitl in München selber "Tatort"-Kommissar wurde.

Ebenfalls noch am Anfang ihrer Karriere stand Sabine Postel (1997 bis 2019 "Tatort"-Kommissarin in Bremen). Sie spielt Wilms’ hübsche Schwester, in die sich Schimanski prompt ein bisschen verguckt. In weiteren zum Teil winzigen Rollen wirken unter anderem Michael Brandner (einer der Räuber), der spätere "Wilsberg"-Star Leonard Lansink sowie Jochen Nickel mit. Den ermordeten Vertrauensmann spielt Horst Lettenmayer, der Mann mit den berühmtesten Augen des deutschen Krimifernsehens: Sie sind in jedem "Tatort"-Vorspann zu sehen.

Bei einigen Nebendarstellern scheint zwar der Zungenschlag wichtiger gewesen zu sein als das Talent, aber der Lokalkolorit ist bei diesem Film noch wichtiger als sonst im "Tatort" aus Duisburg; viele Szenen spielen in der Stahlarbeitersiedlung Duisburg-Hochfeld. Repräsentant des regionalen Elements ist Willi Thomczyk als Ruhrpottphilosoph, der die Werksbesetzung fatalistisch kommentiert: Die Männer "versuchen den Strom aufzuhalten, auf dem sie treiben."

Oft mischt sich die Kamera (Bernd Neubauer) mitten unter die meist sehr aufgeregten Malocher, die mit den beiden Spendenräubern am liebsten kurzen Prozess machen würden. Trotz einiger aufwändiger Bilder mit vielen Komparsen fehlt dem Krimi aber gerade in solchen Szenen eine gewisse Klasse, um die aufgeheizte Gänsehautstimmung authentisch wiederzugeben. Regie führte Karin Hercher, die später fast ausschließlich Serienepisoden gedreht hat ("Lindenstraße", "Unser Lehrer Doktor Specht", "Für alle Fälle Stefanie").

Dennoch gelingt es ihr, Wut, Ohnmacht und Verzweiflung der Menschen so gut einzufangen, dass "Der Pott" nicht zuletzt dank einer ordentlichen Portion Sozialromantik als Zeitdokument sehenswert ist. Interessant ist auch die Musik, selbst wenn ihr anzuhören ist, dass Rio Reiser kein Filmmusikkomponist war. Er wirkt auch persönlich mit: Seine Band hat gleich zu Beginn einen Benefizauftritt für die streikenden Stahlwerker.