Die vierte Dimension der Liebe

Vier Menschen umarmen sich
© Helena Lopes/Unsplash
Zuversichtsbrief - Woche 99
Die vierte Dimension der Liebe
von Frank Muchlinsky
In der Liebe verwurzelt sein und sie dadurch gleichzeitig in ihrer vollen Ausdehnung erkennen? Dazu fordert der Epheserbrief auf. Wie das gehen könnte, beschreibt der neue Zuversichtsbrief.

Deshalb beuge ich vor dem Vater meine Knie. Jeder Stamm und jedes Volk im Himmel und auf der Erde erhält seinen Namen von ihm. Er soll euch so ausstatten, wie es dem Reichtum seiner Herrlichkeit entspricht: Durch seinen Geist soll er euch in eurer innersten Überzeugung fest machen. Denn Christus soll durch den Glauben in euren Herzen wohnen. Und ihr sollt in der Liebe verwurzelt und fest auf ihr gegründet bleiben. So könnt ihr sie zusammen mit allen Heiligen in ihrer Breite, Länge, Höhe und Tiefe erfassen. Ihr werdet auch in der Lage sein, die Liebe von Christus zu erkennen, die alle Erkenntnis übersteigt. Auf diese Weise werdet ihr Anteil bekommen an der Gegenwart Gottes. Sie wird euer Leben ganz erfüllen.

Epheser 3,14–19 in der Übersetzung der Basisbibel, hier vorgelesen von Helge Heynold.

Liebe herrlich Ausgestattete,

kommen wir gleich zur Sache: "Gott liebt uns. Wenn wir diesen Gedanken in uns wach- und lebendig halten, werden wir Gott selbst spüren." So lautet mein erster Versuch, diesen Abschnitt aus dem Epheserbrief zusammenzufassen. Ich muss zugeben, dass ich selbst nicht zufrieden bin, aber das Zusammenfassen hilft mir dabei, einen Text zu verstehen. Einen Text, den ich nicht verstehe, werde ich nach dem Lesen nicht in wenigen Worten wiedergeben können.

Allerdings kann es auch andere Gründe geben, warum sich ein Text schwer zusammenfassen lässt. Zum Beispiel kann er selbst bereits stark komprimiert sein, und das ist bei dem Text für diese Woche der Fall. Der Epheserbrief nennt zwar Paulus als Verfasser, es ist aber in der Forschung Konsens, dass dieser Brief erst nach dem Tod von Paulus in seinem Namen verfasst wurde. Er ist zu unpersönlich geschrieben und enthält viele Passagen, die teilweise wörtlich aus dem Kolosserbrief stammen. Solche sogenannten Pseudepigraphen wollen im Sinne der Person schreiben, deren Namen sie verwenden. Unser kleiner Text erscheint darum auch wie eine Essenz dessen, was Paulus schreibt. Als wären seine Briefe lange eingekocht worden, bis möglichst unverdünnter Paulus übrig blieb. Solch einen Text noch einmal zu reduzieren, ist wenig sinnvoll. Lieber will ich schauen, ob ich ihn wieder "verlängern" kann.

Die ersten beiden Sätze beschreiben die Größe Gottes, vor der sich die Menschen ehrfürchtig verneigen sollen. Kein Mensch, kein Volk macht sich selbst einen Namen. Alles kommt von Gott. Gottes Herrlichkeit ist so reich, so groß, dass sie überfließt. Von ihr sollen die Lesenden des Epheserbriefes ausgestattet, versorgt werden. Dann ist zu lesen, was es bedeutet, entsprechend der Herrlichkeit Gottes ausgestattet zu sein: aus tiefster Überzeugung Jesus Christus in den eigenen Herzen wohnen lassen. Mit anderen Worten: Gottes Herrlichkeit fließt über, damit die Gläubigen fest im Glauben bleiben können.

Und dann geht es um die Liebe. Die wird hier wie ein Raum beschrieben, in dem sich die Menschen befinden. Sie ist der Boden, in dem der Mensch verwurzelt ist und der ihn also ernährt, und gleichzeitig hat die Liebe eine dreidimensionale Ausdehnung: Höhe mal Länge mal Breite … mal Tiefe? Im Text erscheint plötzlich eine vierte Dimension, in der sich die Liebe ausbreitet. Also noch einmal: Die Lesenden sollen in der Liebe verwurzelt bleiben. So können sie gemeinsam mit allen "Heiligen", also den anderen Gläubigen, ermessen, wo diese Liebe überall hingelangt, wie groß sie ist. Damit nicht genug, wenn alle in der Liebe bleiben, werden sie sogar erkennen, wie groß die Liebe von Christus ist, obwohl sich diese Liebe jeglicher Erkenntnis entzieht.

Ich wage noch einmal eine Zusammenfassung: Um zu erkennen, wie groß die Liebe in der Welt und darüber hinaus ist, muss man selbst tief in ihr verwurzelt sein und mit den anderen im Liebesaustausch bleiben. Und das, so endet unser kleiner Text, würde dann bedeuten, dass Gott spürbar da ist. Ist das vielleicht die vierte Dimension, die "Tiefe", von der hier die Rede ist? Dass Gott in der Liebe zwischen uns erkennbar ist? Das wäre auf jeden Fall ein ausgesprochen paulinischer Gedanke, und das wäre dem "Paulus", der diesen Brief verfasst hat, sehr lieb.

Wochenaufgabe: Tun Sie, was der Epheserbrief anregt:

  1. Schauen Sie dankbar auf Ihre Fähigkeit zu lieben und ziehen Sie Kraft aus ihr!
  2. Meditieren Sie über die Liebe und staunen Sie darüber, welche Ausmaße die Liebe hat – nicht nur bei Ihnen!
  3. Entdecken Sie die vierte Dimension der Liebe und beschreiben Sie sie mit Ihren Worten!
  4. Tauschen Sie sich über die Liebe aus und tauschen Sie sich in Liebe aus!

Für alle, denen diese Wochenaufgabe zu umfangreich ist, versuche ich eine letzte Zusammenfassung für heute: Lieben Sie!

Ich wünsche Ihnen eine übermäßig schöne Woche!

Ihr Frank Muchlinsky