TV-Tipp: "Tatort: Gier und Angst"

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2. Januar, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Gier und Angst"
Im "Tatort" aus Dortmund war die zwischenmenschliche Ebene von Anfang ähnlich wichtig wie die jeweiligen Fälle. Das hat das Wohlwollen des Publikums mitunter etwas strapaziert.

Gerade die Beziehungsquerelen zwischen den zwei jungen Teammitgliedern hatten des Öfteren was von Kindergarten, weshalb es zumindest in dieser Hinsicht nicht schade ist, dass die beiden längst nicht mehr dabei sind. Ähnlich lästig treibt’s nun Martina Böhnisch (Anna Schudt): Das Ende der Liebelei zwischen der Hauptkommissarin und einem Spurensicherer (Tilman Strauß) sorgt für allerlei Ärger, weil der ausgebootete Kollege den Schlussstrich nicht akzeptieren will. Die entsprechenden Szenen sind jedoch auf fast schon groteske Weise überzogen. 

Dass "Gier und Angst", der zwanzigste Fall für Faber (Jörg Hartmann) und Böhnisch, trotzdem sehenswert ist, liegt an der persönlichen Verstrickung von Jan Pawlak (Rick Okon). Der junge Kommissar hat den beiden Älteren nie erzählt, dass seine Frau seit einem Jahr verschwunden ist. Nun trifft er Ella (Anke Retzlaff) überraschend wieder. Sie ist mittlerweile mit dem Clubbesitzer Georg "Micki" Micklitza (Sascha Alexander Geršak) liiert, und der wiederum ist der Bruder jenes Mannes, mit dem die ganze Geschichte beginnt: Josef Micklitza (Stefan Rudolf) kommt ins Präsidium, um einen Mord zu melden. Er war am späten Abend im Hafengebiet mit seinem Anlageberater verabredet, traf aber nur noch auf dessen Leiche; jemand hat den Mann erschossen. Ein konspiratives Treffen weit nach Feierabend: Für Faber klingt das, als habe der Vermögensverwalter seinen Klienten warnen wollen. Tatsächlich macht der Chef des Finanzunternehmens, Wiglaf Beck, einen recht vierschrötigen Eindruck, was jedoch auch mit dem Darsteller zu tun hat: Heiko Pinkowskis abgründiges Spiel legt durchaus die Vermutung nahe, dass der Mann zur Not über Leichen gehen würde. 

Pinkowski, Geršak und der ohnehin stets sehenswerte Hartmann dominieren diesen Krimi schauspielerisch ganz eindeutig. Gerade Geršak ist dank seiner enormen Präsenz ungemein glaubwürdig. Der Erzählstrang mit Pawlak und seiner Frau ist allerdings ähnlich fesselnd. Ella ist wieder ihrer früheren Drogenabhängigkeit verfallen und überaus wechselhaft in ihren Stimmungen: Mal lässt sie den Gatten kühl abblitzen, dann kündigt sie an, ins Familienleben zurückzukehren. Teil des Falls wird diese Ebene, weil Pawlak seinem Vorgesetzten vorenthält, dass er über Ella längst auch Kontakt mit Micki Micklitza hat. Faber wiederum weiß das längst, weil er den jungen Kollegen zur Empörung von Böhnisch beschatten lässt. 

Natürlich spielt auch das Titelthema eine wichtige Rolle, zumal Faber diese Welt, in der den Menschen "die Sonne aus dem Arsch scheint", gänzlich fremd ist. Becks gutbetuchte Kunden haben keine Ahnung, welche Summen sie ihm anvertraut haben; geschweige denn, was der Mann damit anstellt. Darauf bezieht sich "Gier und Angst": Erst wollen sie immer mehr, dann fürchten sie, eines Tages ohne Vermögen da zu stehen. Diesen Zwiespalt macht sich Beck zunutze, indem er den Menschen ein "Rundum sorglos"-Paket anbietet. Faszinierendste Figur dieser Ebene ist ein Bankier (André Jung), der sich fernöstlich tiefenentspannt gibt, aber am Ende der Gelackmeierte sein könnte, wenn das Kartenhaus in sich zusammenfällt und die Bank ausnahmsweise mal nicht gewinnt, denn selbstredend betreibt der joviale Beck ziemlich schmutzige Geschäfte; womöglich wollte sein ermordeter Mitarbeiter auspacken.

Reizvoll ist auch die Verpackung, selbst wenn die Bildgestaltung mitunter manieriert wirkt; die häufigen Zoom-Sprünge erwecken den Eindruck, als habe sich Kameramann Benjamin Dernbecher allzu sehr von den Filmen Dominik Grafs inspirieren lassen. Die Lichtarbeit ist allerdings exzellent. Die bunten Clubszenen stellen einen reizvollen Kontrast zur eher düsteren Stimmung im Revier dar. Interessantester Schauplatz ist ein zum Lokal umfunktioniertes ehemaliges Schwimmbad, hier findet auch das Finale statt, in dessen Verlauf Pawlak auf einen optisch angemessen verstörend umgesetzten Trip geschickt wird. Regie führte Martin Eigler, der die Drehbücher zu seinen Werken seit rund zwanzig Jahren immer wieder mal gemeinsam mit Sönke Lars Neuwöhner schreibt. Die beiden waren auch für den packenden Dortmunder "Tatort"-Thriller "Sturm" (2017) verantwortlich, in dem ein mutmaßlicher deutscher Islamist mit Sprengstoffgürtel die Polizei in Atem hielt. Ein völlig anderer Film, aber von gleicher herausragender Qualität war 2018 ihr gemeinsamer Stuttgarter Krimi "Der Mann, der lügt".