Bedford-Strohm zieht Bilanz als EKD-Ratsvorsitzender

Heinrich Bedford-Strohm
©epd-Bild/Jens Schulze
Heinrich Bedford-Strohm vor der digital tagenden EKD-Synode in Bremen.
Ratsbericht vor der Synode
Bedford-Strohm zieht Bilanz als EKD-Ratsvorsitzender
Mitgliederschwund, Corona-Pandemie und Klimaschutz spricht der scheidende EKD-Ratsvorsitzende in seinem letzten Bericht an die Synode an. Bei der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt räumt er Versäumnisse ein.

Der scheidende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat eine Bilanz seiner siebenjährigen Amtszeit gezogen. Vor der digital tagenden EKD-Synode blickte der 61 Jahre alte bayerische Landesbischof am Sonntag auf innerkirchliche Themen wie den Mitgliederschwund und das 500. Reformationsjubiläum 2017. Er nahm aber auch zu gesellschaftlichen Konflikten wie der Klimakrise, der Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen und den gesellschaftlichen Verwerfungen in der Corona-Pandemie Stellung.

Aufruf zum Impfen

Heinrich Bedford-Strohm hat dabei eindringlich zum Impfen gegen das Coronavirus aufgerufen. Er appelliere an alle, „die jetzt noch zögern: Geben Sie sich einen Ruck. Auch um Ihrer selbst willen! Das Risiko, dass Sie selbst an Covid-19 schwer erkranken, ist bei weitem höher als jedes Impfrisiko“. Die erdrückende Mehrheit der schwer Erkrankten seien Ungeimpfte, sagte der bayerische Landesbischof. Wer sich jetzt endlich dazu durchringe, sich impfen zu lassen, helfe sich selbst, „uns allen, aber ganz besonders den Kindern und den Menschen, die sich nicht impfen lassen können“.

Zugleich sagte Bedford-Strohm, Menschen, die sich bislang gegen eine Impfung entschieden haben, dürften nicht alle in einen Topf geworfen, nicht allen dürfe gleichermaßen ein „Egoismus-Etikett“ aufgeklebt werden. Doch sei es legitim, Ungeimpfte anders zu behandeln. „Wer sich gegen eine Impfung entscheidet, stellt nach der klaren wissenschaftlichen Erkenntnis ein deutlich höheres Risiko für andere dar“, sagte der Theologe. Deswegen sei es legitim, wenn der Staat durch entsprechende Maßnahmen andere schützt.

Die Verteilung des Impfstoffs weltweit nannte Bedford-Strohm extrem ungerecht. Die Impfrate in Afrika liege noch immer erst knapp über fünf Prozent. Um ärmere Länder mit Impfstoffen zu versorgen, müsse ausreichend Geld zur Verfügung gestellt werden. Es sei ermutigend, dass inzwischen Pläne der Unternehmen Biontech aus Mainz und Moderna aus den USA fortgeschritten seien, in Afrika eigene Produktionsstätten zu errichten.

Angesichts der laufenden Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow sagte Bedford-Strohm: „Wir haben hoffentlich verstanden, dass es um konkrete Menschenleben geht, die wir in der Zukunft opfern, wenn uns die notwendigen Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels heute zu teuer sind.“ Wer die wissenschaftliche Faktenlage nicht völlig ignoriere, könne aus dem christlichen Liebesgebot nur entschiedene Maßnahmen ableiten, die sicherstellen, „dass auch unsere Kinder und Enkelkinder, die jetzt schon leben und die wir lieben, mindestens genauso gut leben können wie wir selbst“.

Die finanziellen und die „menschlichen Kosten“ müssten in jedem Fall bezahlt werden. „Nur dann von anderen und in viel höherem Maße“, fügte der evangelische Theologe hinzu.

Bedford-Strohm fordert Asyl-Zugang für Flüchtlinge in Belarus

Scharf kritisierte Bedford-Strohm die Lage an der Grenze zwischen Belarus und Polen und forderte ein Ende des Zurückdrängens von Flüchtlingen. Er schließe sich dem Appell von Amnesty International an alle politisch Verantwortlichen an, den Menschen dort Zugang zu einem regulären Asylverfahren zu geben und damit die menschenunwürdigen Zustände an der EU-Außengrenze zu beenden.

 „Dass die Würde und die Rechte von Geflüchteten an so vielen Orten weltweit missachtet und verletzt werden, so auch an den Außengrenzen der EU, ist skandalös und zutiefst beschämend“, sagte er.

Die Lage an der Grenze werde jeden Tag schwieriger, sagte der bayerische Landesbischof unter Berufung auf Kontakte zur Kirche in Polen. „Menschengruppen, darunter Familien mit kleinen Kindern, verharren im Freien, suchen Schutz und Hilfe“, sagte Bedford-Strohm. Schlechte Wetterbedingungen verursachten starke Erkältungen. Zudem verwies er auf bekannt gewordene Todesfälle. Man könne nicht gleichgültig sein gegenüber dem Schicksal derjenigen, „die ein neues Leben weitab von Konflikten, Verfolgung, Ungleichheit und sozialer Ungerechtigkeit beginnen wollen“.

Seit inzwischen Monaten versuchen Flüchtlinge, die der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko als Druckmittel gegen die EU einsetzt, die Grenze nach Polen zu überqueren. Einem Teil der Menschen ist auch die Weiterreise bis nach Deutschland gelungen. Seit August registriert die Bundespolizei nach eigenen Angaben vermehrt sogenannte illegale Einreisen mit Belarus-Bezug. Bis Freitag waren es insgesamt 8.407.

Mit der Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in der EKD äußerte sich der scheidende Ratsvorsitzende unzufrieden. „Wir sind noch nicht so weit gekommen, wie wir wollten“, sagte Bedford-Strohm. „Viel zu oft ist das damit verbundene Unrecht in unseren eigenen Reihen nicht gesehen worden, oder man wollte es nicht sehen“, räumte er ein. Man sei „mitten in einem umwälzenden Lernprozess“, und es liege noch ein weiter Weg vor der Kirche.

Missbrauchs-Betroffene kritisieren Aufarbeitung

Die evangelische Kirche hatte 2018 einen Maßnahmenplan zur Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt verabschiedet, der unter anderem eine Beteiligung Betroffener vorsah. Im Frühjahr wurde der zwischenzeitlich gegründete Betroffenenbeirat der EKD nach Auseinandersetzungen bereits wieder ausgesetzt. Bedford-Strohm sagte, er hoffe, dass aus dem gescheiterten ersten Anlauf einer Betroffenenbeteiligung gelernt und eine neue Form der Partizipation entwickelt werde, in der kritische Impulse „noch stärker zu Veränderungen in unserer Institution führen“.

Die evangelische Kirche hatte 2018 einen Maßnahmenplan zur Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt verabschiedet, der unter anderem eine Beteiligung Betroffener vorsieht. Im Frühjahr wurde der zwischenzeitlich gegründete Betroffenenbeirat der EKD nach Auseinandersetzungen bereits wieder ausgesetzt. Die Gründe für das Scheitern sollen nun in einer externen Expertise untersucht werden, hieß es am Sonntag.

Zuvor hatten Betroffene sexualisierter Gewalt die Kirche für den Status quo der Aufarbeitung kritisiert. Für Betroffene habe sich in den vergangenen Jahren nichts oder nur wenig geändert, sagte Katharina Kracht, selbst Betroffene von sexualisierter Gewalt, am Sonntagmorgen in einer Online-Pressekonferenz. Kracht und weitere Betroffene zeigten sich auch nicht überzeugt von der nun eingeleiteten Untersuchung zum Scheitern der Betroffenenbeteiligung. Die damit befasste Expertin könne beispielsweise aus Sicht der Betroffenen keinerlei Fachlichkeit im Bereich sexualisierter Gewalt aufweisen.

Die 128 Synodalen sollen am Montagnachmittag über die Aufarbeitung des Missbrauchs diskutieren, auch Betroffene sollen zu Wort kommen. Derzeit sind 942 Fälle von sexualisierter Gewalt im Bereich der EKD bekannt.

Neue Ratskandidat:innen stellen sich vor

Die Synodentagung der EKD war am Morgen mit einem Gottesdienst im Bremer Dom St. Petri eröffnet worden. Die 128 Synodalen beraten bis Mittwoch digital, weil ein Teilnehmer einer vorbereitenden Gremiensitzung positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Am Dienstag und Mittwoch werden der Rat der EKD als Leitungsgremium neu gewählt und der Ratsvorsitz neu vergeben. Bedford-Strohm stellt sich nach sieben Jahren an der EKD-Spitze nicht erneut zur Wahl. Am Sonntag stellten sich die Kandidatinnen und Kandidaten für den Rat in kurzen Reden der Synode vor. 21 Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft wurden von einem Ausschuss der Synode nominiert, ein 22. Kandidat wurde vom Kirchenparlament noch nachträglich benannt. Sie bewerben sich um die 14 zu vergebenden Plätze.

Im Frühjahr wurde die 25-jährige Anna-Nicole Heinrich zur Präses der Synode gewählt. Sie leitet damit nun erstmals eine reguläre Sitzung des Kirchenparlaments, das unter anderem auch über den Haushalt der EKD entscheidet. In ihrem Bericht vor der Synode rief Heinrich ausgehend von einer Präses-Tour, die sie im Sommer unternahm, zum Mut zu Veränderungen auf. Man müsse auch außerhalb von Kirchenmauern nach Impulsen suchen. „Vertrauen, Offenheit und ein Ortswechsel lohnen sich“, sagte sie.