TV-Tipp: "Tatort: Am Ende geht man nackt"

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5. Oktober, BR, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Am Ende geht man nackt"

ARD und ZDF tun viel dafür, den Flüchtlingsskeptikern ihr Misstrauen zu nehmen; eine Weile gab es beinahe täglich Reportagen über furchtbare Erlebnisse, gleichgültige Bürokraten und die tiefe Kluft zwischen Feindseligkeit und Willkommenskultur. Mit einem "Tatort" erreicht man natürlich auch noch ganz andere Zuschauer, und vermutlich tut ein Film wie "Am Ende geht man nackt" (eine Wiederholung aus dem Jahr 2017) ungleich mehr für die Völkerverständigung als all die gutgemeinten dokumentarischen Beiträge.

Das Duo Holger Karsten Schmidt (Buch) und Markus Imboden (Regie), für den schwarzhumorigen Krimi "Mörder auf Amrum" mit dem Grimme-Preis belohnt, hat einen ganz speziellen Ansatz gefunden, um tief in die Welt der Flüchtlinge einzutauchen: Bei einem Brandanschlag auf eine Bamberger Unterkunft kommt eine Frau aus Kamerun ums Leben. Sie ist in einem Vorratsraum erstickt, dessen Tür von innen nicht geöffnet werden kann; womöglich ist sie eingeschlossen worden. Weil die Bewohner aus Angst, in irgendeiner Form aufzufallen und ihren Asylantrag zu gefährden, lieber gar nichts sagen, hat Kommissar Voss (Fabian Hinrichs) die Idee, sich als verdeckter Ermittler unter die Menschen zu mischen. Da er tschetschenische Vorfahren hat, gibt er sich als Tschetschene aus und gewinnt das Vertrauen der vermeintlichen Schicksalsgefährten.

Geschickt kombiniert Schmidt nun die beiden Ebenen: Einerseits dient Voss’ "Undercover"-Aktion der Wahrheitssuche, andererseits bietet sich die Möglichkeit, eine Welt aus der Perspektive eines Außenseiters zu erkunden, mit dem sich die Zuschauer problemlos identifizieren können. In einer der bedrückendsten Szenen werden Voss und seine neuen Freunde von Neonazis überfallen und verprügelt. Voss kann gerade noch einen Notruf absetzen. Zwei der Schläger können fliehen, der dritte behauptet, die Ausländer hätten ihm aufgelauert; eine Polizistin rät dem vermeintlichen Tschetschenen von einer Anzeige ab, weil nun Aussage gegen Aussage stünde. Beim Abtransport gibt sich der Kommissar zu erkennen und verspricht der Kollegin ein Disziplinarverfahren. Es gibt mehrere Momente dieser Art, in denen der Ermittler den gleichen Effekt hat wie in vielen Reportagen zu diesem Thema die Anwesenheit der Kamera: Ein Iraker aus Voss’ Gruppe wartet seit fünf Jahren auf die Bearbeitung seines Asylantrags; es stellt sich raus, dass die Akte in der zuständigen Behörde verlegt worden ist, und plötzlich geht der Vorgang ganz fix. In einem anderen Fall aber kann auch der gute Geist von der Polizei nicht helfen: Der junge Syrer Basem (Mohamed Issa) hat seine komplette Familie verloren und ist nun auf der Suche nach seinem älteren Bruder. Seine Geschichte ist mit Abstand am traurigsten und nimmt auch kein gutes Ende.

Während Voss in der Unterkunft ermittelt, kommt seine Kollegin Ringelhahn (Dagmar Manzel) dem Urheber des Brandanschlags auf die Schliche: Der arrogante Immobilienbesitzer Benedikt (Hans Brückner) hat sich einen warmen Abriss des ohnehin maroden Gebäudes bescheren lassen, nachdem er kurz zuvor die Feuerversicherung erhöht hat; er gibt das sogar zu, allerdings nur unter vier Augen, und weil die Kommissarin ihm nichts nachweisen kann, ist sie machtlos; außerdem hat Benedikt einflussreiche Freunde. Trotz der klaren Sympathieverteilung verzichten Schmidt und Imboden jedoch auf schlichte Schwarzweißmalerei. Auch unter den Flüchtlingen gibt es einen Ganoven. Yasin el Harrouk verkörpert das Schlitzohr zwar, als hätte er zur Vorbereitung zu viele Filme mit Moritz Bleibtreu gesehen, verkörpert den jungen Mann mit dem beachtlichen Organisationstalent aber mit viel Charisma; ähnlich sehenswert war der in Stuttgart geborene Sohn marokkanischer Einwanderer schon als Titelfigur eines "Tatorts" aus München ("Der Wüstensohn"). Die Besetzung des dritten Franken-"Tatorts" ist ohnehin ein weiterer Pluspunkt: Die Eingeborenen werden tatsächlich von Einheimischen verkörpert, was auch für die Ermittler in der zweiten Reihe gilt; und die Darsteller der Flüchtlinge haben allesamt entsprechende Wurzeln. Der Titel bezieht sich auf die Aussage eines Mannes, am Ende gehe jeder nackt, das mache uns doch allen zu Brüdern. Ein frommer Wunsch; auch die frohe Botschaft kann den tragischen Schluss nicht verhindern.