TV-Tipp: "Billy Kuckuck: Angezählt"

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1.Oktober, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Billy Kuckuck: Angezählt"
Wie bei den meisten TV-Berufen dürfte der Alltag von Billy Kuckuck nicht viel mit der Realität einer Gerichtsvollzieherin zu tun haben. Mit lästigem Papierkram zum Beispiel muss sich die Titelheldin (Aglaia Szyszkowitz) der ARD-Freitagsreihe nicht rumplagen.

Außerdem kann sich Billy offenbar tagelang um einen einzigen Klienten kümmern. Zwischendurch findet sie auch noch Zeit, an der Beziehung zum Gatten zu arbeiten: Gunnar Kuckuck (Gregor Bloéb) hat sie vor einiger Zeit wegen einer Jüngeren verlassen, ist ihr aber nach wie vor zugetan und gern zur Stelle, wenn ein säumiger Zahler durch eine Uniform eingeschüchtert werden muss. Das ist beim jüngsten Fall bitter nötig: Kai Burdenski (Ralph Herforth) hat seine letzten Stromrechnungen nicht bezahlt. Der Mann betreibt eine Boxschule für Teenager, die sich umgehend bedrohlich zusammenrotten, als Billy auftaucht, um den Strom abzustellen. Gunnar hingegen ist begeistert, denn Burdenski, Kampfname "der Amboss", ist in Mainz eine Ikone: Der Mann war mal Weltmeister.

Vor diesem Hintergrund entwirft der Film eine zu Herzen gehende Geschichte: Der Boxer hat einst seine Vaterpflichten vernachlässigt, was ihm seine Tochter Jessica (Tabea Bettin) bis heute nicht verziehen hat. Das kann Burdenski zwar nicht wieder gut machen, aber dafür ist er zum Ersatzvater für ein anderes Mädchen geworden. Der ehemalige Champion kümmert sich um Jugendliche, die aus schwierigen Familien kommen oder – wie Boxerin Samy (Saron Degineh) – gar keine mehr haben: Sie stammt aus Afghanistan, ihre Familie ist bei der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Der Coach sieht großes Potenzial in der jungen Frau, die in einem Wohnheim der Jugendhilfe lebt, perfekt deutsch spricht und sich aufs Abitur vorbereitet. Als ihr Asylantrag abgelehnt wird, hat Billy gleich zwei kaum zu lösende Aufgaben: Burdenskis Schule retten und dafür sorgen, dass Samy hier bleiben darf. Zum Glück verfügt die Gerichtsvollzieherin über das Herz eines Boxers und folgt der gleichen Devise wie der einstige Weltmeister: Gib niemals auf! 

Die ersten drei Drehbücher stammten von Kirsten Peters. René Förder und Stefan Pächer dürften die Hauptfiguren im Sinn der Reihenschöpferin weiter entwickelt haben. Das gilt vor allem für die Verhältnisse zwischen Müttern und Töchtern, was wiederum eine gute wie eine schlechte Nachricht ist. In den Auseinandersetzungen zwischen Billy und ihrer Teenagertochter spiegeln sich die Konflikte, die sie einst mit ihrer eigenen Mutter hatte: Hannah vernachlässigt die Schule, weil sie lieber für ihren Poetry-Slam-Auftritt probt. Es kommt zwar zu einigen witzigen Szenen zwischen den drei Frauen, weil die Großmutter ihre Enkelin ständig in Schutz nimmt, doch während Vivien Sczesny das Mädchen sehr glaubwürdig und natürlich verkörpert, interpretiert Ursela Monn ihre Figur auch im vierten Film wie auf der Bühne eines Boulevardtheaters: Christel ist eine echte Nervensäge; und das hat nicht nur mit der Rolle zu tun.

Umso wohltuender ist Tabea Bettin als dritte Tochter der Geschichte: Weil Burdenski hofft, seine finanziellen Probleme buchstäblich auf einen Schlag lösen zu können, hat er sich auf einen Schaukampf eingelassen; ein lebensgefährliches Unterfangen, von dem ihn Jessica allem Groll zum Trotz abbringen will, indem sie ihm einen Deal vorschlägt, den er nicht ablehnen kann. Sehr glaubwürdig ist auch Ralph Herforth als Boxer, der sich aus der tristen Gegenwart in seine Erinnerungen flüchtet; eine akustische Rückblende genügt völlig, um die guten alten Zeiten wieder aufleben zu lassen. Die Umsetzung durch Thomas Freundner, der bislang alle Filme der Reihe inszeniert hat, kann sich ebenfalls sehen lassen; gerade die Lichtsetzung (Bildgestaltung: Benjamin Dernbecher) ist von großer Sorgfalt. Abgesehen von den zumindest polarisierenden Auftritten Monns gilt das auch für die Arbeit mit dem Ensemble; die junge Saron Degineh ist in ihrer größeren Fernsehfilmrolle eine echte Entdeckung.  Pächer und Förde haben bereits bei diversen Episoden für komische Serien (darunter "Die Lottokönige" und "Sekretärinnen") offenbar derart gut zusammengearbeitet, dass ihnen die ARD-Tochter Degeto den ersten gemeinsamen Spielfilm anvertraut hat. Das Drehbuch überzeugt nicht nur durch gute Dialoge, sondern vor allem durch diverse originelle Szenen, die regelmäßig für Heiterkeit sorgen. Der Film endet zudem mit der tröstlichen Botschaft, dass auch Niederlagen Siege sein können.