Afghanische Apokalypse

Evakuierung am Hamid Karzai International Airport
© Isaiah Campbell/U.S. Marine Corps/ZUMA Wire/dpa
Soldaten der US-Army halten am Hamid Karzai International Airport in Kabul Wache während der Evakuierung. Pastor Frank Muchlinsky wirft in seinem wöchentlichen Zuversichtsbrief einen Blick auf Apokalyptisches in Afghanistan und in Haiti.
Zuversichtsbrief - Woche 78
Afghanische Apokalypse

Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr da. Und ich sah die heilige Stadt: das neue Jerusalem. Sie kam von Gott aus dem Himmel herab – für die Hochzeit bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat. Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron her rufen: „Sieh her: Gottes Wohnung ist bei den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein. Gott selbst wird als ihr Gott bei ihnen sein. Er wird jede Träne abwischen von ihren Augen. Es wird keinen Tod und keine Trauer mehr geben, kein Klagegeschrei und keinen Schmerz. Denn was früher war, ist vergangen.“ Der auf dem Thron saß, sagte: „Ich mache alles neu.“

Offenbarung 21,1–5a in der Übersetzung der Basisbibel, hier vorgelesen von Helge Heynold.

Liebe Erschütterte,

der Bibeltext für meinen Zuversichtsbrief steht in der Offenbarung des Johannes, der sogenannten „Apokalypse“. Ich habe die Stelle vor Monaten ausgesucht und ahnte nicht im Geringsten, dass ausgerechnet in dieser Woche Apokalyptisches in Afghanistan und in Haiti geschehen würde. Nun ist hier wie dort eine Welt untergegangen, und die Auswahl des biblischen Buches passt auf unheimliche Weise gut in die aktuellen Geschehnisse.

Beschrieben wird das Ende des allerletzten Kampfes. Sicherlich kennen Sie einige Bilder dieses Kampfes: Die vier Apokalyptischen Reiter, das Lamm, die Frau mit dem Kind, den Drachen, der die Frau verfolgt, das Tier, das aus dem Meer steigt, die sieben Posaunen, den Untergang Babylons – die Offenbarung des Johannes ist voll von drastischen Schilderungen des letzten Kampfes von Gut gegen Böse. Leid wird auf Leid gehäuft, auf Unglück folgt noch größeres Unglück. Es ist im wahrsten Sinne das Buch vom Weltuntergang. Selbst die Sterne am Himmel werden durch den Kampf ausgelöscht. Der Seher Johannes, der Autor der Offenbarung, wird Zeuge all dieser Ereignisse vom himmlischen Thronsaal aus. Darum kann er das schreckliche Unglück auf der Erde deuten: Es sind Wehen, die Schmerzen vor der Geburt einer neuen Welt. Ganz am Schluss wird alles neu und das Gute siegt.

In Afghanistan ist innerhalb weniger Tage eine Welt untergegangen, eine Welt, die der Westen seit zwanzig Jahren aufzubauen versuchte. Menschen haben für diese Welt gekämpft, Menschen sind für die Idee gestorben, aus Afghanistan ein Land nach westlichem Vorbild zu machen. Viele Jahre lang starben Menschen auf allen Seiten dieses Krieges. Nun hat eine Seite den Krieg gewonnen, und aus unserer Sicht, aus der Sicht des Westens, hat das Böse gesiegt. Die Taliban sehen das freilich ganz anders. Für sie hat das Gute gesiegt. Sie haben im Namen Gottes gekämpft und werden nun einen Gottesstaat errichten.

Man muss allerdings – wie immer bei biblischen Texten – etwas genauer hinschauen. Der Kampf Gut gegen Böse wird nicht von Menschen geführt, schon gar nicht der letzte. Hier kämpfen Engel und Mächte gegeneinander. Gott selbst greift ein, um die Erde zu „ernten“. Wenn Menschen gegeneinander kämpfen, können sie das immer nur mit ihrer eigenen Vorstellung von Gut und Böse tun. Jede Seite kann von sich behaupten, das Richtige zu tun, jede Seite kann von sich behaupten, in Gottes Namen zu kämpfen. Ist es da nicht eine tröstliche Vorstellung, dass Gott die Menschen außen vor lässt, wenn es um den letzten Kampf von Gut gegen Böse geht? Natürlich ist für den Seher Johannes die Rollenverteilung klar: Die zu Jesus Christus gehören, zu dem Lamm, sind auf der richtigen Seite. Sie gehören zum Guten. Aber sie kämpfen nicht. Sie überwinden, indem sie aushalten, was ihnen Schreckliches widerfährt.

Bis schließlich und endlich Gott selbst erscheint, nicht in Gestalt eines Heeres oder eines Helden, sondern als Nachbar. In der Stadt, die vom Himmel kommt, bezieht Gott die Wohnung nebenan und kümmert sich persönlich um alle. Gott selbst trocknet die Tränen und macht Schmerz und Tod ein Ende. „Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine.“ Diese Liedzeilen von Martin Luther drücken diese Erkenntnis aus, dass endgültiger Friede nicht vom Menschen gemacht werden kann, nicht in Afghanistan noch irgendwo auf dieser Welt. Den Kampf gegen das Böse kann nur Gott selbst gewinnen.

Natürlich sind wir darum nicht aus der Verantwortung entlassen, für das einzutreten, was wir für richtig und gut erachten. Im Gegenteil, wir sollen uns ja für die Seite „des Lammes“ entscheiden und das Gute tun, das uns gesagt ist. Nur sollen wir uns nicht einbilden, wir würden Gottes Kampf kämpfen. Am Ende unserer Kriege und Katastrophen gibt es immer Tränen und Trauer. Bis Gott alle Tränen abwischt von unseren Gesichtern, ist es unsere Aufgabe, mitzuweinen, wenn andere trauern. Diese Gabe kann uns vor Gewalt schützen.

In unserem Haus feiern wir wöchentlich eine Onlineandacht, die von der Bibelstelle dieses Zuversichtsbriefes geprägt ist. Am Schluss gibt es ein musikalisches Nachspiel, bei dem wir uns ein passendes Musikvideo anschauen. In dieser Woche ist es „No, Woman, No Cry“ von Bob Marley. Auch, wenn das gerade eine Aufforderung ist, eben nicht zu weinen, soll meine Wochenaufgabe doch so lauten: Hören Sie sich das Lied an, schauen Sie das Video dazu, das eine eigene berührende Geschichte erzählt, und dann tanzen Sie oder weinen Sie dazu oder beides!

Und der Friede Gottes, der alles, das wir kennen, weit übersteigt, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus!

Ihr Frank Muchlinsky