Das große Ganze!

©Helena Lopes/Unsplash
Zuversichtsbrief - Woche 76
Das große Ganze!
Wer sich als Teil einer Gemeinschaft fühlt, ist bereit, vieles für diese zu tun. Sei es nun für die Familie, die Nachbarschaft oder den Verein. Doch Solidarität hat oft eine Grenze. Frank Muchlinksy regt im dieswöchigen Zuversichtsbrief dazu an, diese doch einmal aufzuweichen.

Aber seit die Zeit des Glaubens gekommen ist, sind wir nicht mehr dem Aufseher unterstellt. Ihr seid alle Kinder Gottes, weil ihr durch den Glauben mit Christus Jesus verbunden seid. Denn ihr alle habt in der Taufe Christus angezogen. Und durch sie gehört ihr nun zu ihm. Es spielt keine Rolle mehr, ob ihr Juden seid oder Griechen, Sklaven oder freie Menschen, Männer oder Frauen. Denn durch eure Verbindung mit Christus Jesus seid ihr alle wie ein Mensch geworden. Wenn ihr aber zu Christus gehört, dann seid ihr Abrahams Nachkommen. Damit bekommt ihr auch das Erbe, das Gott ihm versprochen hat.

Galater 3,25–29 in der Übersetzung der Basisbibel, hier vorgelesen in der Version der Lutherbibel von 2017 von Helge Heynold.

Liebe Kinder Gottes,

mögen Sie es, sich als ein Teil vom großen Ganzen zu fühlen? Zu spüren, wie man gemeinsam mit anderen etwas schafft? Eine Stimme in einem Chor zu sein oder einen Beitrag zu einer großen Arbeit zu leisten, kann sehr befriedigen. Viele Menschen sind angesichts der Flutkatastrophe in Deutschland aufgebrochen, um mit Hand anzulegen. So viele sind es geworden, dass es schwierig wurde, all die Hilfsbereiten vernünftig zu koordinieren. Wer sich als Teil einer Gemeinschaft fühlt, kann Freude daraus ziehen, dass es anderen Teilen dieser Gemeinschaft gut geht. Das ist eine wunderbare Fähigkeit, denn es bedeutet, über die eigene Person hinausdenken zu können. Auf diese Weise werden wir im wahrsten Sinn des Wortes gesellschaftsfähig.

Die Fähigkeit, sich als Teil einer Gemeinschaft zu empfinden, muss gelernt werden. Dabei wächst bestenfalls auch die Größe der Gemeinschaft, der man sich zugehörig fühlt: vom Individuum zur Familie, zu selbst gewählten Gruppen und Vereinen. Herausfordernd wird es immer dann, wenn der Radius sich erweitert. Wer in der Familie sofort bereit ist zu helfen, wenn es nötig ist, muss deswegen noch lange nicht aufspringen, wenn in der Nachbarschaft Not herrscht. Wer sich in der Nachbarschaft engagiert, muss deswegen noch nicht in die Eifel fahren, weil dort Hochwasser ist.

Es ist sehr unterschiedlich, wie weit wir diese Kreise ziehen, in denen wir uns so sehr dazugehörig fühlen, dass wir uns engagieren möchten. Das Gefühl, man „könne schließlich nicht allen helfen“, stellt sich allerdings früher oder später bei den meisten Menschen ein. An welchem Punkt ist Schluss mit der Solidarität? Was sind die Gruppen, die wir als so wichtig erachten, dass wir außerhalb dieser Gemeinschaft die Solidarität verweigern? Ich habe ein paar Vorschläge für Sie gesammelt. Schauen Sie einmal genau hin und fragen Sie sich, wie wichtig Ihnen die Grenzen dieser Kreise jeweils sind: Ihre Familie, Ihre Nachbarschaft, Ihre Region, Ihre Staatszugehörigkeit, Ihre Haltung zum Impfen, Ihre Ernährungsweise, Ihr Verkehrsmittel, Ihre sexuelle Orientierung, Ihr Geschlecht, Ihre politische Einstellung, Ihre Tierliebe, Ihr Alter, Ihre Hautfarbe, Ihre Herkunft, Ihr Glaube, Ihre Religion?

Die dunkle Seite der Solidarität innerhalb einer Gruppe ist es, denen mit Argwohn oder gar Ablehnung und Feindschaft zu begegnen, die der Gruppe nicht angehören. Das ist keine neue Erkenntnis. Auch Paulus musste immer wieder gegen Gruppierungen innerhalb seiner Gemeinden ankämpfen. Er nutzt dann gern das Bild von dem einen Körper, zu dem alle gehören und ohne den die einzelnen Glieder nicht existieren können. In der Bibelstelle, die ich für diese Woche ausgesucht habe, wird er allerdings so deutlich wie sonst kaum. Er zählt die Unterschiede auf, die keine Rolle mehr spielen dürfen. Sklave oder freier Mensch? Egal, wenn es um unsere Gemeinschaft in Christus geht. Jude oder Grieche? Egal! Frau oder Mann? Es darf keinen Unterschied machen. Alle sind „wie ein Mensch“.

Machen wir uns nichts vor: Paulus spricht hier selbst von einer Gruppe, für die das gilt, was er schreibt. Er hat die Christinnen und Christen im Blick, nicht die gesamte Menschheit. Auch sein Kreis hat also einen Rand, eine Grenze. Aber Paulus war sich seiner eigenen Grenzen immer selbst bewusst. Er wusste genau, dass seine Erkenntnis bruchstückhaft ist. Gerade, wenn es um das große Ganze ging, ahnte Paulus, dass es noch deutlich größer und schließlich vollkommen werden würde. Darum dürfen und sollen wir unseren Blick durchaus weiten und – angeregt durch Paulus – sagen: Wir sind aufgerufen, uns als Geschöpfe Gottes zu begreifen. Die Grenzen der Gemeinschaft liegen in unserer Geschöpflichkeit. Die teilen wir mit allem, was existiert.

Das bedeutet freilich nicht, dass wir die Welt oder gar das Universum retten müssten oder könnten. Es bedeutet aber, in allem das Mitgeschöpf zu entdecken und die eigenen Kreise zu relativieren. Darum lautet meine Wochenaufgabe diesmal so: Schauen Sie sich noch einmal die Liste der Kreise an, zu denen man gehören kann. Suchen Sie sich eine dieser Gruppierungen aus, und machen Sie die Grenze darum durchlässig. Relativieren Sie angesichts des großen Ganzen dies Kleine. Hier sind noch einmal meine Vorschläge:

Ihre Familie, Ihre Nachbarschaft, Ihre Region, Ihre Staatszugehörigkeit, Ihre Haltung zum Impfen, Ihre Ernährungsweise, Ihr Verkehrsmittel, Ihre sexuelle Orientierung, Ihr Geschlecht, Ihre politische Einstellung, Ihre Tierliebe, Ihr Alter, Ihre Hautfarbe, Ihre Herkunft, Ihr Glaube, Ihre Religion.

Ich wünsche Ihnen viel Freude an der ganz großen Gemeinschaft!

Ihr Frank Muchlinsky