TV-Tipp: "Raus"

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TV-Tipp: "Raus"
Dienstag, 29. Juni, ARD, 0.40 Uhr
"Alles ist für alle da", "Tue Gutes, und dir wird Gutes widerfahren", dazu idyllische Bilder eines jungen Paars, das wie Adam und Eva im Einklang mit der Natur zu leben scheint: Der Auftakt zu "Raus" geht ans Herz. Aber dann folgt ein abrupter Kontrast, wie er kaum größer sein könnte: Umweltverschmutzung, Küken im Schredder, ein feuernder Panzer.

"Die Welt ist am Arsch, weil die Falschen am Drücker sind", stellt Glocke (Matti Schmidt-Schaller) fest, und dagegen will er was unternehmen. Eine Bildfolge zeigt, was er bislang jedoch alles nicht unternommen hat: Er hat sich nicht als Pornodarsteller verdingt, um mit seiner Gage den Regenwald zu retten, er hat keine geflüchtete Frau geheiratet, sodass sie in Deutschland bleiben kann, und er ist auch kein militanter Ökoaktivist. All’ das hat er aber offenbar Lena (Tijan Marei) erzählt, damit er bei ihr auf der Couch schlafen kann. Weil er die Nächte noch lieber in ihrem Bett verbringen würde, hat er sich auf eine waghalsige Aktion eingelassen, die prompt schiefgeht.

Mit dieser Handlung ließe sich locker ein kompletter Spielfilm füllen, aber tatsächlich bildet sie bloß den furiosen Prolog der ersten Regiearbeit von Philipp Hirsch, der das Drehbuch gemeinsam mit Thomas Böltken geschrieben hat. Nach einer mit entfesselter Kamera (Ralf Noack) inszenierten Verfolgungsjagd mündet der Auftakt schließlich in eine flammende antikapitalistische Rede Glockes, nachdem er zwei Sicherheitsleuten und ihrem Wachhund ein Schnippchen geschlagen hat. Dass das entsprechende Video im Netz durch die Decke geht, dürfte allerdings eher mit dem unrühmlichen Abgang zu tun haben, denn Glocke steht bei seiner Rede auf einem Dixi-Klo, und als das fragile Dach unter ihm nachgibt, steckt er buchstäblich in der Scheiße.

Natürlich stellt sich angesichts der Bilderkaskaden die Frage, wie Hirsch diesen enormen Handlungsreichtum hundert Minuten lang durchziehen will, aber das hatte er gar nicht vor, denn nach gut zehn Minuten wechselt der Film radikal sein Vorzeichen. Jetzt erst beginnt die eigentliche Geschichte: Glocke will einen Neustart. Er stößt auf die Seite eines Mannes namens Friedrich, der Follower sucht, nicht virtuell, sondern "in echt": Menschen, die sich vorstellen können, mit ihm in der Natur zu leben; als Erkennungsmerkmal sollen sie rote Mützen tragen.

Am genannten Treffpunkt finden sich dann zwar nur fünf junge Interessenten ein, aber immerhin. Dieses Quintett macht sich nun in einer Art Schnitzeljagd durch die Wildnis auf die Suche nach Friedrichs Hütte. Nach anfänglicher gegenseitiger Skepsis wandelt sich die Gruppe zu einem verschworenen Haufen. Damit ist es vorbei, als Glocke durch Zufall rausfindet, dass sie gehörig an der Nase rumgeführt worden sind.

Natürlich kommt es fast zwangsläufig zum Spannungsabfall, als die fünf durch den Wald wandern; daran können auch Ereignisse wie die Auseinandersetzung mit dem feindseligen Wirt (Jacques Breuer) eines Ausflugslokals nichts ändern. Wie in den meisten Filmen dieser Art tragen die Mitglieder der Gruppe zudem ein Etikett: Steffi (Matilda Merkel) hat offenbar eine rechtsradikale Vergangenheit, Elias (Tom Gronau) ist ein Streber und perfekt auf die Wanderung vorbereitet, Paule (Enno Trebs) gibt den harten Kerl und hat eine Flasche Wodka dabei.

Und dann ist da noch die hübsche Judith (Milena Tscharntke), in die sich Glocke auf der Stelle verliebt. Sie lässt ihn ein bisschen zappeln, aber im Grunde mag sie ihn auch, was das Abenteuer in der Natur um eine Romanze ergänzt. Jetzt schließt sich der Kreis zum Auftakt, denn die Bilder von Adam und Eva zeigen Glocke und Judith. Ausgerechnet das junge Glück führt schließlich dazu, dass die Illusion zerplatzt wie Seifenblase; die Rache der Gruppe ist von schockierender Grausamkeit. Außerdem steht sie vor der Frage, ob man einen Neuanfang auf einer Lüge aufbauen kann.

Das junge Ensemble macht seine Sache ausnahmslos sehr gut, auch wenn Milena Tscharntke, schon als wichtiges Ensemble-Mitglied der funk-Serie "Druck" (2018/19) und als Titeldarstellerin des Vergewaltigungsdramas "Alles Isy" (2018) ganz vorzüglich, sowie der trotz seiner jungen Jahre bereits enorm filmerfahrene Matti Schmidt-Schaller herausragen. Während der erste Akt vor allem wegen seines Bilderrauschs beeindruckt, sorgt Kameramann Ralf Noack im Rest des Films für einige ausgesprochen schöne Naturaufnahmen, die die Unbeschwertheit der Clique beim morgendliche Baden im See oder bei einer ausgelassenen Schlammschlacht betonen.

Aus der Not des begrenzten Budgets macht Hirsch zu Beginn eine witzige Tugend: Glockes nie erlebte Aktivitäten als Weltverbesserer illustriert er mit Archivbildern, in die er Schmidt-Schallers Gesicht montiert hat. Originelle Einfälle dieser Art gibt es gerade im ersten Drittel reihenweise. So hat Lena zum Beispiel ausgerechnet, wie viel Sperma nötig war, um die Protzkarosse eines Zuhälters zu finanzieren; auf so eine Idee muss man erst mal kommen.