TV-Tipp: "Sörensen hat Angst"

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TV-Tipp: "Sörensen hat Angst"
20. Januar, ARD, 20.15 Uhr
Wenn ein Fernsehpolizist sein Großstadtrevier verlassen muss, weil er aufs Land versetzt wird, geschieht das selten aus freien Stücken; das war bei "Nord bei Nordwest" nicht anders als bei "Mord mit Aussicht". Im Fall von Sörensen, einem Mann ohne Vornamen, liegen die Dinge jedoch etwas anders.

Für den Kriminalhauptkommissar aus Hamburg ist der Wechsel aufs Land keine Versetzung, sondern eine Flucht, wie der Prolog zu "Sörensen hat Angst" verdeutlicht: Während er im Auto die Stadt verlässt, wird er von der geballten Kakophonie der Metropole begleitet. Zwei weitere Momente lassen erahnen, dass der Mann seinen Dämonen nicht entkommen wird: Erst sorgt ein Güterzug für einen infernalischen Lärm, weil die Geräusche auf der Tonspur überlaut klingen, und als Sörensen sein Ziel fast erreicht hat, muss er sich erst mal übergeben. Seine Hoffnung, im neuen Revier eine ruhige Kugel schieben zu können, erweist sich als fataler Irrtum: In der beschaulichen niedersächsischen Kleinstadt Katenbüll tun sich wahre Abgründe menschlicher Grausamkeit auf.

"Sörensen hat Angst" ist das Regiedebüt von Bjarne Mädel, der auch die Hauptrolle spielt. Von außen betrachtet wirkt es mutig vom NDR, ihm die Inszenierung eines Mittwochsfilms im "Ersten" zuzutrauen, aber vermutlich wusste die Redaktion spätestens seit der gleich zweimal mit dem Grimme-Preis gekrönten Zusammenarbeit bei der Serie "Der Tatortreiniger", dass Mädel mehr als "nur" ein ausgezeichneter Schauspieler ist. In der Tat hat er die Hoffnungen nicht enttäuscht, im Gegenteil, zumal der Film nicht nur durch vorzügliche darstellerische Leistungen imponiert: Dank der Bild- und Lichtgestaltung von Kameramann Kristian Leschner ist das Krimidrama auch in optischer Hinsicht sehenswert.

Die dritte große Qualität des Films ist das Drehbuch. Sven Stricker hat seinen gleichnamigen Roman selbst adaptiert und Mädel auf diese Weise eine Rolle beschert, die sich deutlich von den üblichen TV-Kommissaren abhebt: Sörensen leidet unter einer Angststörung, die sich regelmäßig in Panikattacken äußert. Kaum hat er seine neuen Mitarbeiter kennengelernt, wird er bereits in einen Mordfall verwickelt: Der Bürgermeister ist erschossen worden. Also sucht Sörensen die beiden Männer auf, die einst mit dem nun hingerichteten Hinrichs ein verschworenes Trio gebildet haben. Jens Schäffler, Chef einer Fleischfabrik mit dem unpassenden Namen "Fleischeslust", ist dem Vegetarier automatisch unsympathisch, zumal sich der überhebliche Geschäftsmann nicht in die Karten schauen lässt. Während Peter Kurth diesen Mann mit einer Buddha-gleichen Tiefenentspanntheit versieht, ist Matthias Brandt in der Rolle des verstoßenen Dritten das genaue Gegenteil: Der frühere Kurdirektor Marek hat erst die Karriere, dann seine Familie und schließlich jede Würde verloren, nachdem kinderpornografische Bilder bei ihm entdeckt worden sind. Brandt suhlt sich geradezu in dieser völlig verkrachten Existenz; man spürt förmlich, wie viel Freude ihm die Rolle bereitet haben muss.

Natürlich sind weder der lebensmüde Marek noch der geplagte Polizist komische Figuren, und der Film macht sich zu keinem Zeitpunkt über sie lustig. Trotzdem steht Brandts fast schon satirisch überspitzte Verkörperung für die gelungene Gratwanderung nicht nur der Geschichte, sondern auch von Mädels Inszenierung: "Sörensen hat Angst" ist ein Drama, doch innerhalb dieses Rahmen sind witzige Momente durchaus möglich. Dafür sorgen zum Beispiel einige von lakonischem Humor geprägte skurrile Szenen sowie die trockenen Dialoge, die ihren Witz zum Teil allein aus der Wiederholung beziehen, etwa im Zusammenhang mit dem Hund, der Sörensen zuläuft. Das Tier heißt Cord: "Wie die Hose?" "Wie die Hose." Typisch für den mitunter auch sinistren Humor des Films ist eine Szene, in der Sörensen voller Vorfreude aufs Meer, das er schon rauschen hört, einen Deich erklimmt – und dann bietet sich ihm dahinter keine reizvolle Aussicht, sondern bloß der Anblick einer trostlosen Landschaft. Immerhin darf der Polizist einmal lächeln: als er übermütig in eine Schafherde rennt, die blökend das Weite sucht.

Sehr ansprechend ist auch das Zusammenspiel Mädels mit Katrin Wichmann als Kollegin Jennifer und Leo Meier als Kollege Malte. Die Konstellation dieses Trios birgt durchaus Potenzial für eine Fortsetzung. Da trifft es sich gut, dass es bereits ein weiteres Sörensen-Buch gibt, zumal Stricker bereits bei der melancholischen Romanfigur Mädel vor Augen hatte. Der Autor ist auch Hörspielregisseur. Bei einer Produktion hat er den Schauspieler kennengelernt, der maßgeblich an der Veröffentlichung seines ersten Buchs beteiligt war. Mädel wiederum sagt, er habe "Sörensen hat Angst" im Grunde nur deshalb selbst inszeniert, damit der Film so wird, wie Stricker und er sich ihn vorgestellt haben.

Das gilt dann vermutlich auch für die visuelle Umsetzung: Die spätwinterlich-frösteligen Bilder sorgen für die passende Atmosphäre. Interessant ist auch die Idee, viele Szenenwechsel nicht mit einer Einstellung zu beginnen, die die Orientierung erleichtert ("establishing shot"), sondern das Publikum in die Lage des Kommissars zu versetzen, der sich erst mal ein Bild machen muss. Auch für die Angststörungen hat Leschner die richtigen Bilder gefunden: Bei Sörensens erstem Besuch in der Fleischfabrik verengt sich der Flur, um seine Klaustrophobie zu verdeutlichen. In solchen Momenten klebt die Kamera förmlich an seinem Gesicht, um ihn auch optisch in seiner Angstwelt zu isolieren.