TV-Tipp: "Mörderische Stille"

© Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Mörderische Stille"
15. Dezember, 3sat, 20.15 Uhr
Die Geschichte des Films "Mörderische Stille" ist derart komplex, dass Autor und Regisseur Friedemann Fromm gar keine Zeit hat, sämtliche Ereignisse bis ins Detail zu erklären. Was anderswo womöglich störende Leerstellen zur Folge hätte, erhöht in "Mörderische Stille" sogar noch den Reiz: weil die Beteiligten selber nicht alles verstehen.

Mindestens so faszinierend und verworren wie der Mordfall, den der Wilhelmshavener Kommissar Jan Holzer (Jan Josef Liefers) aufklären muss, ist sein eigenes Seelenleben: Holzer ist in seiner Seele zutiefst verletzt. Die Hintergründe offenbart Fromm nur bruchstückhaft. Das entsprechende Bild setzt sich nach und nach im Kopf des Zuschauers zusammen, bleibt aber trotzdem ein Fragment. Zur Illustrierung wählte der vielfach ausgezeichnete Regisseur Wachsmalzeichungen, die Holzer im Verlauf einer Psychotherapie wütend aufs Papier schleudert; die Düsternis der Bilder veranschaulicht nachhaltig, wie es in ihm aussehen muss.

Ungemein reizvoller Gegenentwurf zum in sich gekehrten Ermittler ist seine extravertierte türkischstämmige Kollegin Amal (Ivan Anderson), für die Fromm einige saftige Dialoge geschrieben hat; schade, dass der unter anderem für "Unter Verdacht", "Die Wölfe" oder "Weissensee" vielfach ausgezeichnete Regisseur nicht noch weitere Filme mit dem Duo erzählt hat (der Film ist eine Wiederholung aus dem Jahr 2017). Der Titel bezieht sich nicht zuletzt auf die Welt, in der die zentrale weibliche Figur lebt: Elena (Sylvie Testud) ist gehörlos. Dass sie eine Schlüsselrolle in dem Mordfall spielt, wird Holzer allerdings erst später klar. Zunächst ist er völlig ratlos, als ein Angler eine sorgfältig verpackte Leiche entdeckt. Der Tote sollte offenbar von der Strömung aufs offene Meer hinausgetrieben werden, aber nun ist er zurückgekehrt. Es handelt sich um einen Holländer, der vor vielen Jahren als Soldat im Kosovo stationiert war. Und nun wird die Geschichte richtig widerlich: Der Mann hat dort offenbar ein Bordell für die männlichen Mitglieder der Nato-Truppen organisiert; einheimische Frauen wurden zur Prostitution gezwungen.

Ebenfalls im Kosovo aktiv war Segellehrer Kühnert (Peter Lohmeyer), ein ehemaliger Scharfschütze. Elena ist seine Lebensgefährtin, er hat sie damals gemeinsam mit ihrem Vater Miro (Peter Franke) nach Deutschland mitgebracht. Miro ist für seine einstigen Dienste als Dolmetscher grausam bestraft worden und seither stumm; auch er wird ermordet. Sie alle verbindet ein furchtbares Geheimnis. Holzer ahnt, dass der Schlüssel zu den Morden der Gegenwart in der Vergangenheit liegt. Er selbst leidet seit einem traumatischen Erlebnis unter einem Tinnitus, weshalb es Fromm immer wieder enervierend pfeifen lässt. Elena spürt diese Verletztheit, die zu einer ganz speziellen Verbundenheit zwischen der Frau und dem Kommissar führt.

"Mörderische Stille" ist schon allein wegen der vorzüglichen schauspielerischen Leistungen sehenswert. Liefers’ Verkörperung des seelisch waidwunden Ermittlers ist ein fesselnder Gegenentwurf etwa zu dem blasierten Rechtsmediziner, der im "Tatort" aus Münster verkörpert. Sylvie Testud knüpfte 20 Jahre nach "Jenseits der Stille" an ihre damalige unter anderem mit dem Deutschen Filmpreis gewürdigte Leistung an; in Charlotte Links Drama hatte sie eine Tochter gehörloser Eltern gespielt. Von großer Präsenz ist wie stets Peter Lohmeyer als undurchsichtiger Gegenspieler des Kommissars. Die Entdeckung des Films ist jedoch Ivan Anderson. Die in Deutschland aufgewachsene gebürtige Kurdin war zwar schon in einigen Nebenrollen zu sehen, aber so fulminant wie hier durfte sie selten agieren, zumal Fromm ihr auch noch einen Nebenstrang widmet: Amal ist mit 17 Mutter geworden, hat das Baby bei der Familie zurückgelassen und verhindert nun die Zwangsheirat des Mädchens. Beide, Mutter und Tochter, sind von der Befreiungsaktion stark gezeichnet; eine weitere Szene, in der der Film die Details der Fantasie des Zuschauers überlässt.

Nicht minder eindrucksvoll ist die Bildgestaltung von Fromms bevorzugtem Kameramann Michael Wiesweg; viele Szenen spielen im Zwielicht oder auf dem offenen Meer, was die Kamera-Arbeit sicher nicht leichter gemacht hat. Ein faszinierender und gerade wegen der Ereignisse im Kosovo auch verstörender Krimi über eine alte Schuld und eine späte Sühne, den man nicht so leicht vergisst, zumal sich Fromm mit den Bordellen für Soldaten und der Zwangsprostitution einheimischer Frauen eines Tabuthemas annimmt.