TV-Tipp: "Zerrissen – Zwischen zwei Müttern"

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TV-Tipp: "Zerrissen – Zwischen zwei Müttern"
8. Dezember, Sat.1, 20.15 Uhr
Sat.1 hat sich in früheren Jahren gern mal bei filmischen Vorbildern bedient und Erfolgsproduktionen aus Hollywood stillschweigend auf deutsche Verhältnisse umschreiben lassen. Dass die Vorlage diesmal im Vorspann erwähnt wird, ist also ein Fortschritt. Die Handlung des Dramas "Zerrissen – Zwischen zwei Müttern" wirkt auf den ersten Blick allerdings weder kompliziert noch ungewöhnlich:

Eine Mutter verliert am Strand ihre dreijährige Tochter aus den Augen und entdeckt sie zwölf Jahre später zufällig wieder. Der Film beginnt mit der Strandszene und springt dann in die Gegenwart: Stefanie Minrath (Alwara Höfels) hat im Gegensatz zu ihrem Mann Torben (Marc Ben Puch) nie den Glauben aufgegeben, dass das Mädchen noch lebt. Sie arbeitet in einem Supermarkt und ist eines Tages überzeugt, dass eine Kundin ihre Tochter ist. Torbens distanzierte Reaktion mutet zunächst befremdlich an, aber Stefanie hatte Erlebnisse dieser Art offenbar schon öfter. Diesmal allerdings ist sie sich derart sicher, dass sich eine Kriminalpolizistin (Julia Brendler) bereit erklärt, der Sache nachzugehen; und tatsächlich liegt Stefanie richtig.

Wäre seit der Entführung nur eine kurze Zeit vergangen, könnte die Geschichte mit der Wiedervereinigung der Familie zu Ende sein. Das auf der britischen Miniserie "Torn" (ITV 2007) basierende Drehbuch orientiert sich jedoch an der klassischen Drei-Akt-Struktur, und nun folgt der zweite Akt. Er schildert realitätsnah, wie die Familie versucht, die verlorene Tochter in den Alltag zu integrieren. Stefanie würde sie am liebsten mit Liebe überschütten, aber für das Mädchen (Lilly Barshy) sind die Minraths Fremde. Nachvollziehbar beschreibt Regine Bielefeldt ("Aenne Burda"), dass die Tochter nun nicht etwa zwei Mütter hat, sondern gar keine mehr: Ruth (Katharina Wackernagel), die Frau, die sie aufgezogen hat, wird verhaftet; und für Stefanie empfindet die 15-Jährige keinerlei Gefühle. Bislang hieß sie Charlotte und lebte mit ihrer Mutter in einer wohlhabenden Berliner Gegend; nun heißt sie plötzlich Michelle und muss sich mit den anderen eine Dreizimmerwohnung in einem Wohnsilo teilen.

Kein Wunder, dass die entwurzelte junge Frau ein Identitätsproblem bekommt. Außerdem reagiert ihre jüngere Schwester Angie (Lieselotte Voß) fast schon feindselig. Der Film widmet ihr nicht viel Zeit, aber im Grunde genügen zwei Wörter. Als Michelle sagt, sie habe sich schon immer eine Schwester gewünscht, antwortet Angie: "Ich nicht." Gegen Ende des zweiten Akts erkennt Michelle, dass mehr nötig ist als bloß ein Schulwechsel, um mit ihrer falschen Vergangenheit abzuschließen. Als Ruth aus der Untersuchungshaft entlassen wird, weil sie ihre Tat gestanden hat und keine Fluchtgefahr besteht, kommt weitere Dynamik in die Geschichte, denn natürlich hält sie sich nicht an das Kontaktverbot.

Bei aller Plausibilität und Realitätsnähe bleiben doch einige Fragezeichen. Dass Stefanie in der wildfremden jungen Frau instinktiv ihre Tochter erkennt, wirkt ein bisschen esoterisch. Die Familienzusammenführung wird zwar vom Jugendamt beaufsichtigt, aber seltsamerweise ohne psychologische Betreuung. Merkwürdig auch, dass Ruth nach der Entführung nicht weggezogen ist, schließlich ist der Teufel, wie der Volksmund weiß, ein Eichhörnchen. Andererseits steht dieses Detail sogar für den differenzierten Umgang mit dem Thema. In einer schlichteren Version wäre Ruth vermutlich als Schurkin dargestellt worden. Diese simple Zuspitzung vermeidet Bielefeldt, indem sie die Geschichte zunächst über weite Strecken aus Sicht Stefanies erzählt, aber im letzten Akt auch die Perspektive von Ruth berücksichtigt. Auf diese Weise weckt der Film ein gewisses Verständnis für die Frau, die keine Kriminelle im landläufigen Sinne, sondern eine liebende Mutter ist.

Regisseur Florian Gärtner hat zuletzt kurzweilige Komödien wie "Schwarzbrot in Thailand" oder "Ausgerechnet Sylt" gedreht, verzichtet aber dennoch darauf, aus den sozialen Unterschieden billiges "Culture Clash"-Kapital im Stil von "High Society" (2007) zu schlagen; in Annika Deckers Kinokomödie muss eine Tochter aus reichem Elternhaus in einen sozialen Brennpunkt ziehen, als sich rausstellt, dass sie als Baby mit der Tochter einer Supermarktkassiererin vertauscht worden ist. Diese Zurückhaltung gilt auch für die Musik (Birger Clausen), die an genau den richtigen Momenten energisch klingt, sich ansonsten aber angenehm im Hintergrund hält. Gärtners Arbeit mit den Schauspielern zeichnet sich auf ähnliche Weise durch Zwischentöne aus: Als die Kommissarin das zweite Mal bei Ruth auftaucht, vermittelt Katharina Wackernagel ohne Worte, dass das Dasein der Frau in diesem Augenblick wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Besondere Anerkennung gebührt zudem Lilly Barshy. Ihre bislang beste und ähnlich fordernde Rolle hatte die junge Schauspielerin in einem "Tatort" aus Göttingen ("Das verschwundene Kind") als 15-Jährige, die unwissentlich schwanger ist und von der Geburt überrascht wird. In "Zerrissen" spielt sie zwar nicht die Hauptfigur, aber sie steht natürlich für den Titelkonflikt und verkörpert das Fremdeln Michelles gegenüber Stefanie ebenso glaubwürdig wie Charlottes zwiespältige Gefühle gegenüber Ruth, die sie gleichzeitig hasst und liebt.