So soll die evangelische Kirche digitaler werden

Volker Jung
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EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung.
Kirche im Wandel
So soll die evangelische Kirche digitaler werden
Von den Möglichkeiten des digitalen Wandels in der evangelischen Kirche erzählt der Medienbischof der EKD, Kirchenpräsident Volker Jung, im Interview mit evangelisch.de-Portalleiter Markus Bechtold. Dabei verrät er auch, wo es derzeit beim Umbau noch knirscht.

Herr Jung, Corona und der wirtschaftliche Druck beschleunigen innerhalb der evangelischen Kirche die Digitalisierung. Ist das jetzt für Sie eher Fluch oder ein Segen?

Volker Jung: Im Moment ist es schlichtweg erstmal eine riesige Hilfe, dass wir unsere Arbeit überhaupt gut machen können. Das gilt sowohl für die Gremienarbeit als auch in der Verbindung miteinander bis in die Gemeinden hinein. Das ist eine unglaubliche Hilfe und Unterstützung. Im Moment ist Digitalisierung sicher vielmehr Segen als Fluch.

Und wo sehen Sie neue Möglichkeiten der Digitalisierung mit Blick auf kirchliche Kernaufgaben?

Jung: Wir erleben, dass die Digitalisierung viel tiefer das kirchliche Leben durchdringt, als wir es noch vor einem Jahr überlegt und erwartet hatten. Klar ist, dass wir im kommunikativen Bereich, in der Verwaltung, längst digital unterwegs waren. Jetzt ist aber auch deutlich geworden, wie die digitalen Möglichkeiten für die Gestaltung und Übertragung von Gottesdiensten eingesetzt werden können, wie Konfirmandenunterricht auf digitalem Weg gehalten werden kann, wie auch seelsorgerliche Kontakte über digitale Kommunikation in schwierigen Situationen zum Teil weitergeführt werden können und vieles mehr. Das heißt, das kirchliche Leben ist auch in seinen Kernbereichen nochmal ganz anders von der Digitalisierung durchdrungen worden, als ich es bisher erlebt habe.

Was ist dabei Ihr liebstes digitale Lagerfeuer, das wärmt, den Glauben stärkt und Nähe schafft?

Jung: Für mich waren in der Corona-Zeit die Videokonferenzen mit unseren ökumenischen Partnern rund um den Globus etwas ganz Herausragendes. Wir sind im Kontakt gewesen und bleiben in Kontakt, haben uns praktisch weltweit miteinander verständigt über die jeweilige Situation. Wir haben ja Partnerkirchen in Indien, in Südkorea, in Indonesien, in Südafrika, in Tansania, in Ghana, in den Vereinigten Staaten, in Tschechien, Italien, Polen. Es war für mich sehr bewegend, so aneinander Anteil zu nehmen und auch immer wieder miteinander zu beten.

Manches, was heute möglich ist, war vor ein paar Jahren noch völlig unvorstellbar. Was beeindruckt Sie da?

Jung: Mich hat sehr beeindruckt, mit einer Gemeinde einen Videokonferenz-Gottesdienst zu feiern. An einem Sonntagmorgen haben ganz viele Gemeindemitglieder an diesem Gottesdienst teilgenommen. Es ist wirklich gelungen, durch eine gute Gestaltung auch eine gottesdienstliche Atmosphäre über den Bildschirm zu vermitteln. Das hat mich sehr berührt.

Verkündigung ist auch digital möglich.

Und wo sehen Sie Grenzen der Digitalisierung auch mit Blick auf die kirchlichen Kernaufgaben?

Jung: Wir merken, dass die Digitalisierung uns im Moment die Chance gibt, in Kontakt zu bleiben - auch wenn wir körperlich Abstand halten müssen. Wir merken aber auch, dass uns ganz Wesentliches dabei fehlt, nämlich wirklich die persönliche Begegnung. Wenn man einen ganzen Tag lang mit Menschen über Videokonferenzen zusammen war, hat man eine große Sehnsucht danach, diesen Menschen auch wieder irgendwann persönlich zu begegnen. Und man merkt, dass vieles von dem, was persönliche Begegnungen eben beinhalten, dann doch über die digitale Begegnung nicht möglich ist. Nämlich nochmal in anderer Form Zwischentöne zu hören oder sich einfach umfassender wahrzunehmen - bis hin zu den Möglichkeiten, sich mal in den Arm zu nehmen. Das ist eben das, was digital dann doch so nicht möglich ist und was menschliches Leben doch im Tiefsten ausmacht. So geht es mir jedenfalls.

Die Veränderungsgeschwindigkeit ist gerade immens. Wie können oder wie sollen alte, lange gewachsene Strukturen mit den digitalen Neuheiten 2020 gut verknüpft werden?

Jung: Da passiert im Moment relativ viel. Wir machen jetzt alle Erfahrungen in der Gremienarbeit in unserer Kirche, wie wir die Digitalisierung einsetzen. Das fängt bei den Kirchenvorständen an und das geht bis hin zur EKD-Synode. Das sind ja alte, gewachsene Strukturen. Wir merken, dass wir diese Möglichkeit, sich per Video zu begegnen, sicher auch auf hervorragende Weise einsetzen können, wenn wieder normale Verhältnisse herrschen. Nicht für alle Treffen in der Gremienarbeit ist es wirklich nötig, oft von weit her zusammenzukommen. Ich bin mir ziemlich sicher: Da wird sich eine Mischung zwischen den leiblichen Begegnungen und den digitalen Begegnungen entwickeln. Das wird auch unsere Arbeitsweise und unsere Strukturen verändern.

Digitalisierung verändert Strukturen und Machtverhältnisse. Synergien, die geschaffen werden, entstehen dabei auch häufig durch eine Zentralisierung. Was bedeutet das für eine Kirche, die sich über ihre dezentralen Verhältnisse und auch über ihre regionale Vielfalt und Mitsprachemöglichkeiten definiert?

Jung: Das weiß ich nicht, ob Digitalisierung notwendigerweise Zentralisierung bedeutet. Die Digitalisierung kann, wenn man sie gut einsetzt, auch die Partizipation erhöhen. Ganz einfach, weil Abstimmungsprozesse noch einmal in einer anderen Weise möglich sind. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Wir haben in dieser Woche relativ kurzfristig eine Konferenz mit Dekaninnen und Dekanen und mit den Vorsitzenden der Synodalvorstände in den Dekanaten zusammengerufen. So eine Konferenz hätte sonst einen langen Anlauf gebraucht. Wir haben uns kurzfristig über anstehende Maßnahmen und Entscheidungen in der Coronakrise abgestimmt. Die Rückmeldungen, die aus diesem Kreis für uns in die Kirchenleitung kamen, waren außerordentlich wichtig. Ich glaube, dass Digitalisierung hier gerade verhindert, dass nur zentral entschieden wird. Es wird umgekehrt gerade aus den Leitungen her deutlich, dass man diese Instrumente gut nutzen kann, um Menschen sehr viel deutlicher und sehr viel partizipativer in Entscheidungsprozesse hineinzunehmen.

Das ist ja auch eine Chance für eine stärkere, vernetzte oder auch effizientere Verwaltung in den Gemeinden und Kirchenämtern.

Jung: Ja, im Bereich der Verwaltung wird sich sicher noch einiges möglich sein. Wir können prüfen, wie Prozesse schlanker gestaltet werden können, indem sie konsequent digitalisiert werden. Aber das dann wirklich umzusetzen, wird noch eine ganze Weile brauchen.

Besteht beim digitalen Wandel die Gefahr, dass Einzelne, die nicht internetaffin sind, abgehängt werden? Wie will Kirche auch diese Menschen mit in die Zukunft nehmen?

Jung: Für uns ist das immer wieder Thema, wie wir es hinbekommen, dass wir Menschen nicht ausschließen. Das ist für mich eine Gefahrenseite der Digitalisierung, dass Menschen, die nicht technikaffin sind, sich schwer tun oder auch keine Möglichkeiten haben, plötzlich außen vor bleiben. Und da müssen wir überlegen, wie Menschen dann auch über persönliche Kontakte wieder hineingenommen werden können. Das könnte für einen Kirchenvorstand so aussehen, dass jemand, der sagt: "Ich habe keinen Computer, will keinen Computer." ganz einfach von jemand anderem für diese Sitzung eingeladen wird und man gemeinsam teilnimmt. Ich bin überzeugt: Die Digitalisierung kann viel und sie ermöglicht viel, aber sie kann nicht den nötigen menschlichen Kontakt ersetzen. Es genügt zum Beispiel auch nicht, iPads in Altenheime zu geben, damit Menschen die Möglichkeit haben, per iPad gerade in diesen Zeiten zu kommunizieren. Sondern man muss es ihnen auch beibringen, beziehungsweise man muss assistieren, damit die Technik auch wirklich genutzt werden kann. Und das braucht menschliche Kontakte.

"Wir müssten die IT-Abteilungen in all unseren Kirchenämtern deutlich stärken."

Wo knirscht es derzeit beim digitalen Wandel?

Jung: Ich merke natürlich auch, dass gerade die Digitalisierungsprozesse in der Kirche vor allen Dingen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den IT-Abteilungen enorm fordern. Wir sind in unseren Kirchen an dieser Stelle zugegebenermaßen eher sparsam aufgestellt. Wir haben diese Abteilungen in der Vergangenheit durchaus schlank gehalten. Da merke ich, dass es eigentlich viel mehr Unterstützung und Support in die Fläche hinein bräuchte. Wir müssten eigentlich die IT-Abteilungen in all unseren Kirchenämtern deutlich stärken.

Jetzt wird auf der digitalen Synode der EKD über Zukunftsstrategien gesprochen, auch über den digitalen Wandel. Wie wird die evangelische Kirche den digitalen Wandel weiterhin aktiv mitgestalten?

Jung: Wir haben eine wichtige Weiche gestellt, indem wir einen Stabsbereich Digitalisierung im Kirchenamt gebildet haben. Die Stabstelle Digitalisierung soll die digitalen Aktivitäten der EKD sowie der Landeskirchen und Einrichtungen sehr viel stärker vernetzen. Auf diesem Weg, das wird der Synode auch vorgeschlagen, wollen wir konsequent weitergehen. Deshalb soll unter anderem der Digital-Innovationsfonds weitergeführt werden. Außerdem wird der Synode vorgeschlagen, einen digitalen Effizienzfonds einzurichten. Der soll Projekte fördern, in denen Digitalisierung genutzt wird, um die uns gegebenen Ressourcen auch effektiver einzusetzen. Das sind Bereiche, wo zugleich deutlich wird: Digitalität lässt sich nicht nur Top-Down, also von oben nach unten, steuern. Hier ist wirkliche Vernetzung miteinander angesagt. Das haben wir auf den Weg gebracht.

Begleitend dazu ist an vielen Stellen in der evangelischen Kirche begonnen worden, Digitalisierung bewusster wahrzunehmen und theologisch und ethisch zu diskutieren. Das ist ein zentraler Bestandteil unserer Digitalstrategie sein. Digitalisierung ist eben nicht nur ein technisches Thema. Sie greift tief in das Leben aller ein. Hier sind wir als Kirche auch in unserem Kern herausgefordert, Stellung zu beziehen und Chancen und Grenzen zu benennen.