TV-Tipp: "Tatort: Züri brännt"

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TV-Tipp: "Tatort: Züri brännt"
18. Oktober, ARD, 20.15 Uhr
Der erste "Tatort"-Episode mit dem neuen Zürcher Ermittlerduo führt in die Vergangenheit: Der Titel "Züri brännt" weckt bei älteren Schweizern ungute Erinnerungen an die Jugendunruhen vor vierzig Jahren.

Im Frühjahr 1980 lehnte der Stadtrat den Bau eines autonomen Jugendzentrums ab, genehmigte aber die viele Millionen Euro teure Renovierung des Opernhauses. Die Folge waren Demonstrationen, Proteste und Krawalle, die schließlich an Weihnachten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führten. Der Dokumentarfilm "Züri brännt" lief damals auch hierzulande in den Kinos; die Aufnahmen von Polizisten, die hemmungslos auf Demonstranten einprügeln, sorgten für die gleiche Empörung wie das zum Verwechseln ähnliche Polizeiverhalten bei Demonstrationen gegen die Frankfurter Startbahn West, das Atommülllager Gorleben oder die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf.

Der Hintergrund verdeutlicht bereits, dass "Züri brännt" kein "Tatort" wie viele andere ist. Der Film beginnt mit den historischen Aufnahmen, die immer wieder aufgegriffen werden. Auf diese Weise verknüpft das Drehbuch von Lorenz Langenegger und Stefan Brunner die beiden Zeitebenen miteinander: In der Gegenwart ist ein Mann erschossen und dann angezündet worden. Bis auf eine buddhistische Tätowierung gibt es keinerlei verwertbare Hinweise auf seine Identität. Die Vergangenheit kommt ins Spiel, als dem Chef der Kriminalpolizei, Peter Herzog (Roland Koch), während der Verleihung seiner Ehrendoktorwürde ein Paket mit einem Totenschädel überreicht wird. Nach allerlei Untersuchungen kommen zwei vor vierzig Jahren verschwundene junge Frauen in Frage: eine Polizistin namens Eva und eine Aktivistin namens Ava. Tatsächlich handelt es um ein und dieselbe Person: Die Beamtin ist als verdeckte Ermittlerin bei den Autonomen eingeschleust worden, hat offenbar die Seiten gewechselt und ist schließlich erschlagen worden. Selbst wenn diese Tat in der Schweiz verjährt ist, so ahnen die Ermittlerinnen doch, dass die Lösung des vierzig Jahre zurückliegenden Mordes der Schlüssel zur Lösung des aktuellen Falls ist; und beide Ermittlungen betreffen die Kommissarinnen persönlich.

Schon allein die verzwickte Geschichte würde "Züri brännt" zu einem besonderen Krimi machen, aber auch für die beiden Hauptfiguren hat sich das Autorenduo interessante Merkmale einfallen lassen. Angesichts der mittlerweile mehreren Dutzend "Tatort"-Ermittler ist die Einführung neuer Charaktere eine echte Herausforderung. Langenegger und Brunner bedienen sich der beliebten Kontrastmethode: Die Kommissarinnen Tessa Ott (Carol Schuler) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) können sich auf Anhieb nicht leiden. Die stets elegant gekleidete blonde Grandjean ist Westschweizerin und hat daher einen leichten französischen Akzent. Sie stammt aus einfachen Verhältnissen und ist überzeugt, dass die brünette junge Kollegin ihren Posten allein dem Nachnamen zu verdanken hat: Die Otts gehören zu den angesehensten Zürcher Familien. Denkbar unterschiedlich ist auch der berufliche Hintergrund: Ott ist beim deutschen BKA zur Profilerin ausgebildet worden, Grandjean kommt vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Das sanfte Lächeln täuscht; Ott hält sie für eine emotionslose Zynikerin.

Die beiden Hauptdarstellerinnen interpretieren ihre Rollen allerdings differenzierter, als die Typisierung der Figuren nahelegt. Das Drehbuch verzichtet ohnehin auf schlichte Schwarzweißmalerei. Kripochef Herzog, 1980 ein junger Beamter, nimmt die damaligen Kollegen in Schutz: Einfache Stadtpolizisten seien in Kampfmonturen gesteckt worden, während die Autonomen nach der Devise "Pflastersteine auf Bullenschweine" agiert hätten. Auch Herzog wird jedoch vom Geist aus der Vergangenheit heimgesucht: Die ermordete junge Frau erscheint regelmäßig allen Beteiligten, mal als Eva, mal als Ava, was mitunter für recht gruselige Effekte sorgt.

Ähnlich ausgezeichnet wie das Buch und die Regie (Viviane Andereggen) ist die Besetzung: Carol Schuler wirkt oft als Komödiantin in hiesigen TV-Produktionen mit, etwa in der Komödie "Zweitbettzimmer" als "Glitzernudel" und Zimmernachbarin von Anja Kling. Die Theaterschauspielerin Anna Pieri Zuercher ist hingegen fürs deutsche Fernsehen eine echte TV-Entdeckung. Regisseurin Viviane Andereggen ist zwar ebenfalls Schweizerin, lebt aber in Berlin und hat in Deutschland auch ihre Filme gedreht, von ihrem famosen Debüt "Simon sagt auf Wiedersehen zu seiner Vorhaut" (NDR, 2015) über die grandios gespielte Komödie "Kein Herz für Inder" (ARD, 2017) bis hin zu "Rufmord" (ZDF, 2019), einer bedrückenden Fallstudie über eine Lehrerin, deren Leben durch Cybermobbing zerstört wird. Für die Bildgestaltung bei "Züri brännt" war Martin Langer verantwortlich, mit dem die Regisseurin schon bei dem Kinofilm "Die drei !!!" zusammengearbeitet hat. Der vielfach ausgezeichnete deutsche Kameramann setzt hier immer wieder Akzente, mal durch ungewöhnliche Blickwinkel, öfter noch durch eine bemerkenswerte Lichtgestaltung. Langers Arbeit lässt den bilderreichen Film zudem ungewöhnlich aufwändig wirken. Optisch sehr effektvoll sind auch die Heimsuchungen aller Beteiligten durch einen Geist aus der Vergangenheit, was für recht gruselige Effekte sorgt. "Züri brännt" ist ein vielversprechender Auftakt für den neuen Schweizer "Tatort" und setzt hohe Maßstäbe für die weiteren Episoden.