TV-Tipp: "Tatort: Funkstille"

Altmodischer Fernseher vor einer Wand
© Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Funkstille"
13. September, ARD, 20.15 Uhr
Natürlich ist es lobenswert, wenn ein Regisseur versucht, die ausgefahrenen Krimiwege zu verlassen; aber der Schuss geht nach hinten los, wenn die Umsetzung allzu offensichtlich um stilistische Eigenheiten bemüht ist.

Darunter leiden im ersten "Tatort" von Stanislaw Mucha, der sich bislang vor allem als Dokumentarfilmer hervorgetan hat, nicht zuletzt die Schauspieler: weil ihre Darbietungen oft inszeniert wirken. Auch die Bildgestaltung sieht aus, als hätten sich der Regisseur und sein Kameramann (Johannes Monteux) vorgenommen, vielen Einstellungen ein gewisses Etwas zu geben. Das ist nicht verwerflich, vermittelt in diesem Fall jedoch den Eindruck, Mucha sei eine originelle Umsetzung wichtiger gewesen als die Geschichte.

Andererseits fügt sich "Funkstille", der zwölfte Fall für Janneke und Brix, auf diese Weise in die Fernsehfilmtradition des Hessischen Rundfunks: Die Redaktion will stets das Besondere. Die Resultate sind mal so, mal so, aber nie von der Stange: entweder herausragend oder an den künstlerischen Ambitionen gescheitert. Auch die Handlung fällt aus dem Rahmen, denn die beiden Hauptfiguren entpuppen sich als CIA-Agenten; und selbst das ist nur die halbe Wahrheit. Am Anfang aber ist wie in fast jedem "Tatort" der Mord: Ein Jugendlicher wird tot in einer leerstehenden Fabrikhalle gefunden; anscheinend ist er zu Tode gestürzt. Die Obduktion ergibt, dass er zuvor erschlagen worden ist. Der junge Mann war ein erfolgreicher YouTuber und hat auf seinem Kanal Videofilme über verlassene und vergessene Frankfurter Örtlichkeiten gezeigt; womöglich, mutmaßt Hauptkommissar Brix (Wolfram Koch), hat er etwas gefilmt, was nicht ans Licht der Öffentlichkeit durfte. Damit liegt er, wie sich schließlich zeigt, gar nicht so falsch; der Zusammenhang ist jedoch ein völlig anderer.

Die Geschichte ist zwar längst nicht so kompliziert, wie Mucha sie erzählt, aber das kann ja durchaus Merkmal eines guten Krimis sein; vorausgesetzt, es funktioniert. Das tut es diesmal nur bedingt, zumal Tessa Mittelstaedt und Kai Scheve immer wieder aus ihren Rollen fallen müssen. Sie spielen Gretchen und Raymond Fisher, die Eltern von Emily (Emilia Bernsdorf), einer Freundin des toten Nachbarsohns Sebastian. Mucha hat die Familie derart ins Zentrum des Films gestellt, dass Brix und Janneke (Margarita Broich) fast zu Nebenfiguren werden. Entsprechend konstruiert wirken die Momente, in denen die Darsteller der Ermittler ein bisschen Spielmaterial bekommen, das mit dem Kern der Handlung nichts zu tun hat. Ähnlich unglaubwürdig sind die Auftritte von Zazie de Paris als alte Freundin des Kommissars; mit dieser Figur konnte Mucha offenbar nicht viel anfangen.

Sehr unlocker sind auch jene Szenen ausgefallen, die eigentlich das exakte Gegenteil erreichen sollen, etwa Brix’ Zweikampf mit einem störrischen E-Scooter oder die vermeintlich heiteren Reviergespräche, in denen die Unleidlichkeit des Kommissars nicht für die vermutlich erhoffte Komik sorgt. Selbst darüber ließe sich noch hinwegsehen, aber spätestens die Führung des Fisher-Trios mutet befremdlich an. Dass Tessa Mittelstaedt die Konsulatsmitarbeiterin Gretchen mit maskenhaft starrer Mimik verkörpert, mag ins Bild passen, schließlich arbeitet die Frau für den amerikanischen Auslandsnachrichtendienst; aber wenn sie ihren Emotionen dann mal freien Lauf lässt, sieht das fast grotesk aus. Ähnlich bizarr sind mehrere Einschübe, in denen Kai Scheve "Fuck!" brüllend auf einen Boxsack einprügelt. Dabei ist diese familiäre Ebene durchaus faszinierend, denn die junge Emily muss einen Schock nach dem anderen verdauen: Dass Gretchen regelmäßig Besuch von Sebastian hatte, ist das eine; viel mehr schockiert sie, dass die Eltern sie ihr Leben lang belogen haben, um ihre Arbeit als Agenten zu kaschieren. Am heftigsten trifft sie allerdings die Tatsache, dass die beiden für die CIA arbeiten ("Ihr seid die Bösen!"): Emily hat schon mal Ärger bekommen, weil sie öffentlich eine USA- Flagge verbrannt hat, und in ihrem Zimmer steht "M Ami, go home". Als Raymond aussteigen will, wandelt sich die Geschichte zum Agententhriller, nicht jedoch der Film: Abgesehen von der Neugier darauf, was hinter all’ den Ereignissen steckt, fehlt Muchas Umsetzung jegliche Spannung.

Das ist schade, denn "Aus der Kurve" (2015), das ebenfalls für den HR entstandene Spielfilmdebüt des für seinen Dokumentarfilm "Absolut Warhola" (2001) mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Regisseurs, war ein zwar unaufgeregt inszeniertes, aber nie langweiliges und ausgezeichnet gespieltes Drama über einen einstigen Mordverdächtigen, der von seiner Vergangenheit eingeholt wird. Das Drehbuch stammte wie auch bei "Funkstille" vom Duo Stephan Brüggenthies und Andrea Heller, das für den HR bereits die sehenswerten Janeke/Brix-Krimis "Wendehammer" (2016) und "Das Monster von Kassel" (2019) geschrieben hat. Hätte Mucha darauf verzichtet, seinen Film inklusive gewöhnungsbedürftiger Musik allzu prätentiös auf Kunst zu trimmen, hätte womöglich ein richtig guter "Tatort" draus werden können.