TV-Tipp: "Geisterschiff – Der Usedom-Krimi"

Altmodischer Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Geisterschiff – Der Usedom-Krimi"
27.8., ARD, 20.15 Uhr
Vier Todesfälle: Das ist für einen Krimi nicht ungewöhnlich. Aber es ist kein einziger Mord dabei, und das ist durchaus originell. Der Film beginnt mit einem intimen Abschiedsritual: Ein Bruder und eine Schwester betrauern ihren Vater. Später stellt sich raus: Der Mann ist gar nicht tot.

Kurz drauf verabschiedet sich der Bruder aus der Handlung: Der Kleinkriminelle will auf der Landstraße ein Auto überfallen, der Fahrer, ein vermögender Restaurantbesitzer, muss so abrupt bremsen, dass sein Surfbrett vom Dach fliegt; es trifft den Gauner ebenso tödlich wie dessen Kugel den Fahrer. Zum Rätsel wird der Vorfall, weil aus dem Auto ein Aktenkoffer mit Schwarzgeld verschwunden ist; die teuren Schuhe des toten Fahrers sind ebenfalls weg.

Trotz dieser kuriosen kriminalistischen Ebene ist die Suche nach dem Mittäter fast zweitrangig, weil Scarlett Kleint, Alfred Roesler-Kleint und Michael Vershinin, die bislang sämtliche "Usedom-Krimis" geschrieben haben, die Geschichte vor allem über die Personen erzählen. Das ist auch gut so, schließlich ist Ellen Norgaard noch gar nicht richtig eingeführt worden. "Geisterschiff" war im vorigen Jahr die erste Episode ganz ohne Lisa Maria Potthoff. Ein Personalwechsel bietet in Reihen oder Serien immer auch die Chance, die Ausrichtung zu modifizieren.

Tatsächlich ist die dänische Hauptkommissarin mit den deutschen Wurzeln ein ganz anderer Typ als Julia Thiel. Das gilt auch für ihre Darstellerin: Rikke Lylloff hat schon bei ihrem ersten Auftritt im letzten Film ("Winterlicht") eine frische Note in die Reihe gebracht. Diesen Weg setzt das Autorentrio fort. "Geisterschiff" ist weit davon entfernt, eine Krimikomödie zu sein, aber Lylloff sorgt zumindest für ein heiteres Element: Ellen Norgaard ist eine ziemlich attraktive Frau und muss sich entsprechender Avancen erwehren, was zu einigen komischen Momenten und Missverständnissen führt. Regisseur Oliver Schmitz hat für den "Usedom-Krimi" zwar bereits die Episode "Schandfleck" inszeniert und international einige Dramen gedreht, aber im deutschen Fernsehen steht er vor allem für zum Teil preisgekrönte Komödien und komische Serien wie "Türkisch für Anfänger", "Doctor’s Diary" oder zuletzt "Das Pubertier". Auch die Bildgestaltung (Michael Bertl) ist längst nicht mehr so düster wie zuletzt. "Winterlicht" spielte im März und war betont düster. "Geisterschiff" ist im Sommer gedreht worden, weshalb Usedom, in den meisten anderen Filmen der Reihe betont unwirtlich, diesmal sehr einladend wirkt.

Der Titel bezieht sich auf den vermeintlich ersten Todesfall, der zwei Jahre zurück liegt: Damals ist ein Kutter gewissermaßen ohne seinen Besitzer in den Hafen zurückgekehrt. Der früheren Staatsanwältin Lossow (Katrin Sass) genügt eine Fahrt über die Grenze nach Polen, um rauszufinden, dass Heiner Kampwirth (Jörg Pose) jedoch noch quicklebendig ist. Dass seine erwachsenen Kinder nicht schon früher auf die Idee gekommen sind, ihn suchen zu lassen, könnte mit der Lebensversicherung des Mannes zusammenhängen. Lossow wird ohnehin nur deshalb in die Sache hineingezogen, weil sie ein Ehrenamt übernommen hat und straffällig gewordene Jugendliche betreut. Den jungen Kampwirth (Vincent Krüger) sah sie auf einem guten Weg, aber dann stellt sich raus, dass er eine Affäre mit der nun zur Witwe gewordenen Frau des Restaurantbesitzers hatte; womöglich hat sie ihn zum Mord an ihrem Gatten überredet. Aber vielleicht ist auch der alte Kampwirth beteiligt, denn die beiden Männer verband eine herzliche Abneigung.

Mindestens so interessant wie diese auf reizvolle Weise verzwickt erzählte Geschichte ist der biografische Hintergrund der deutschen Dänin. Lossow ahnt früh, dass Norgaards Rückkehr nach Usedom kein Zufall ist: Ellen hat hier ihre Kindheit verbracht. Irgendwann ist ihre Mutter spurlos verschwunden. Die Polizistin gibt zwar vor, das traumatische Erlebnis überwunden zu haben, aber wenige Details genügen, um Lossow, die mit der Frau befreundet war, eines Besseren zu belehren. Die Reihe erlebt also auch in dieser Hinsicht einen Neustart: Beim Auftakt 2014 zog sich die Geschichte von Lossow durch die ersten Folgen, diesmal sorgt das Rätsel um die Mutter für Fortsetzungsstoff. Die beste Idee war allerdings die Verpflichtung von Rikke Lylloff. Die Dänin war schon hier und da im deutschen Fernsehen zu sehen, etwa als Episodendarstellerin in einer Folge von "Der Kommissar und das Meer" ("Laila") oder in der Serie "Borgen" (beide 2011); sie entpuppt sich als echte Bereicherung.

Ellens Attraktivität und ihr charmanter Akzent haben prompt zur Folge, dass sie als Ermittlerin falsch eingeschätzt wird, zumal sie die Dinge deutlich gelassener nimmt als ihre Vorgängerin. Davon profitieren auch zwei männliche Nebenfiguren: Bislang waren Rainer Sellien als uniformierter Polizist und Max Hopp als Staatsanwalt bloß bessere Stichwortgeber für die beiden Hauptdarstellerinnen Potthoff und Lossow. Ellen Norgaard bezieht den Kollegen Brendel, der sich außerdem als Vorsänger einer Shantie-Gruppe  hervortun darf, viel stärker in die Ermittlungen ein. Zumindest in "Geisterschiff" liefert sie sich außerdem amüsante Wortgefechte mit dem Staatsanwalt, der ihr nicht nur bei unbekannten Redewendungen beisteht, sondern auch nach Feierabend gern Zeit mit ihr verbringen würde; aber die Kommissarin sucht sich ihre Männerbekanntschaften lieber selber aus. Der Dauerzwist zwischen Julia Thiel und ihrer Mutter sowie die Eheprobleme der Tochter waren bislang ein wichtiges Element der Reihe; das fällt nun weg. Aber vielleicht ist das ja auch gar nicht schlecht; und ein Familiendrama ist "Geisterschiff" trotzdem.