TV-Tipp: "Wir wären andere Menschen"

Altmodischer Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Wir wären andere Menschen"
6.8., ZDF, 23.15 Uhr
Ein Mann oder eine Frau kehren in ihre alte Heimat und damit an den Schauplatz eines Verbrechens zurück, das einst ihr Leben verändert hat: Geschichten dieser Art hat das ZDF schon oft erzählt. Das dramaturgische Muster ist meist ähnlich: Die Person muss sich endlich dem Trauma stellen, um es zu überwinden.

Weil es dabei fast immer um die Aufklärung eines nicht natürlichen Todesfalls geht, wandeln sich diese Dramen schließlich zum Krimi. Im Prinzip passt diese Beschreibung auch auf "Wir wären andere Menschen": Als Jugendlicher hat Rupert Seidlein (Matthias Brandt) miterlebt, wie zwei überforderte junge Polizisten seine Eltern erschossen haben. Was anschließend aus dem Jungen geworden ist, lässt das auf Friedrich Anis Erzählung "Rupert" basierende Drehbuch von Ani und Ina Jung offen, aber nun, Jahrzehnte später, ist Rupert in sein Elternhaus zurückgekehrt, hat eine Fahrschule eröffnet und führt in dem kleinen rheinischen Ort gemeinsam mit Ehefrau Anja (Silke Bodenbender) ein ganz normales Leben. Begegnungen mit den beiden mittlerweile pensionierten Polizisten (Manfred Zapatka, Paul Faßnacht), deren Tat in mehreren Rückblenden nachgereicht wird, sind unvermeidlich. Er sucht sie sogar, zumal er anscheinend keinen Groll hegt; aber das ist natürlich nur die halbe Wahrheit.

Das ZDF zeigt im Rahmen seines "Kleinen Fernsehspiels" immer wieder Filme zu nachtschlafender Zeit, die einen besseren Sendeplatz und ein größeres Publikum verdient hätten. Diese Produktionen hatten meist eine kleine Kino- oder zumindest Festivalauswertung, das ZDF war oft bloß Partner, aber nicht zwingend Auftraggeber. Das ist bei "Wir wären andere Menschen" von Jan Bonny anders, das Drama ist ein lupenreiner Fernsehfilm, den das "Zweite" sicher gern montags um 20.15 Uhr ausgestrahlt hätte. Angeblich waren Jugendschutzgründe ausschlaggebend für die Sendezeit am späten Abend, aber angesichts des Films klingt das wie ein vorgeschobenen Argument: Das Drama ist nicht nur wegen der wenig einladenden Hauptfigur schlicht nicht mehrheitsfähig; um 20.15 Uhr würden viele die Zuschauer irritiert umschalten. Die ARD hat eine ähnliche Erfahrung an Karneval gemacht, als ein Schwarzwald-Krimi von Bonny ("Ich hab im Traum geweint") gerade mal sechs Millionen Zuschauer hatte; für einen "Tatort" miserabel. Dabei war dieser Film unter Jugendschutzaspekten sogar weitaus bedenklicher. Gleiches galt für Bonnys ersten Sonntagskrimi, "Der Tod macht Engel aus uns allen" (2013), ein "Polizeiruf" aus München.

Auch wenn das ZDF-Drama vor dem "Tatort" entstanden ist: Die ARD hat vor einigen bereits Bonnys Psychodrama "Über Barbarossaplatz" (2017) in den späteren Abend verschoben; das ZDF wusste also, worauf es sich einließ. Es ist vor allem Bonnys Stil, der polarisiert. Was für die einen Kunst ist, sorgt bei den anderen für Ratlosigkeit. Viele Szenen vermitteln den Eindruck, als sollten sie improvisiert und somit authentischer wirken, was jedoch mitunter zu Fremdschäm-Effekten führt. Es ist schon im wahren Leben nicht angenehm, nüchterner Beobachter von Betrunkenen zu sein, aber noch ernüchternder ist das Betrachten von Darstellern, die Trunkenheit spielen; das gelingt nur selten wirklich überzeugend.

Bonny hat mit Matthias Brandt einige ausgezeichnete Filme gedreht, darunter neben einem weiteren Münchener "Polizeiruf" ("Das Gespenst der Freiheit") vor allem sein beachtliches Regiedebüt "Gegenüber" (2007) mit Brandt als Opfer von ehelicher Gewalt. Ausgerechnet Brandt bereitet hie jedoch ein fast schon körperliches Unbehagen, wenn Rupert schreiend und geifernd zum Mörder wird. Sollte dies Bonnys Ziel gewesen sein, hat er es erreicht, und es gibt sicher Menschen, die das Unbehagen als Qualitätsmerkmal sowohl einer schauspielerischen Darbietung wie auch eines Fernsehdramas bewundern. Viele Zuschauer werden sich jedoch schon allein die dissonante musikalische Untermalung oder die fahrige Bildgestaltung (Jakob Beurle) nicht antun wollen. Es passt ins Bild, dass auch der von Andreas Döhler verkörperte Kriminalkommissar mit seiner ungewöhnlichen Vernehmungsmethode aus dem Rahmen des üblichen TV-Krimis fällt.

All’ das ist schade, denn das Drehbuch des Ehepaars Ani und Jung, das gemeinsam unter anderem diverse Drehbücher für die ZDF-Reihe "München Mord" geschrieben hat, bietet das Potenzial für ein interessantes Psychogramm über die Unmöglichkeit, den Dämonen der Vergangenheit zu entfliehen. Nicht minder interessant ist die Rolle der Ehefrau: Ähnlich wie bei einer Ko-Abhängigkeit leidet Anja unter dem Trauma ihres Mannes und ertränkt ihren Kummer in Alkohol.