TV-Tipp: "Sløborn"

Altmodischer Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Sløborn"
24.7., ZDF Neo, 20.15 Uhr
Als das ZDF im Sommer 2019 den Drehstart von "Sløborn" mitteilte, war noch von einer "Katastrophenserie" die Rede. Das Etikett weckt Erwartungen, die eine deutsche TV-Produktion im Grunde nicht erfüllen kann; im klassischen Katastrophenfilm werden Städte durch Erdbeben verwüstet und Küstenregionen von Tsunamis überrollt.

Auf der beschaulichen deutschen Nordseeinsel (gedreht wurde auf Norderney), der die Serie ihren Titel verdankt, bricht dagegen nur ein Virus aus; und das auch erst in der zweiten Hälfte. Das ZDF hat das Genre-Etikett daher um einen wichtigen Zusatz ergänzt: "Sløborn" wird nun als "Drama- und Katastrophenserie" angekündigt. Tatsächlich spielt das Virus zunächst gar keine Rolle, weil Regisseur und Ideengeber Christian Alvart erst mal ganz andere Geschichten erzählt. Darin spielen derart viele Teenager mit, dass "Sløborn" fast wie eine Jugendserie wirkt.

Zentrale Figur ist die 15-jährige Evelin (Emily Kusche), deren Dasein kräftig in Unordnung gerät: Ihre Eltern Richard und Helena (Wotan Wilke Möhring, Annika Kuhl) wollen sich trennen, sie hat eine Beziehung mit dem Vertrauenslehrer (Marc Benjamin) und ist zu allem Überfluss auch noch schwanger. Mitschüler Hermann (Adrian Grünewald) ist das Opfer der Klasse. Das Mobbing nimmt ein Ende, als er Schulrowdy Fiete (Tim Bülow) und dessen Kumpane dabei filmt, wie sie ein gestrandetes Segelboot entern und die Wertsachen stehlen. Die verstorbene Besatzung besteht aus einem alten Ehepaar. Auf dem Smartphone des Mannes entdeckt Hermann ein furchtbares Vermächtnis: Das Schiff hat eine Seuche an Bord, die sogenannte Taubengrippe, eine aus Asien eingeschleppte Mutation der Vogelgrippe H5N1. Das Virus ist in fast allen Fällen tödlich, ein Gegenmittel gibt es nicht; und selbstredend sorgen der ahnungslose Fiete und seine Freunde dafür, dass es sich auf der Insel verbreitet.

Christian Alvart ist keiner jener Regisseure, die einst mit Kunstanspruch begonnen haben und heute im Fernseh-Mainstream Kompromisse schließen müssen; er hat mit "Antikörper" (2005) und erst recht mit seinen internationalen Produktionen ("Fall 39" und "Pandorum", beide 2009) konsequentes Genrekino gedreht und ist dieser Linie auch mit den knallharten "Tatort"-Thrillern für Til Schweiger treu geblieben. Alvart weiß, wie man ein Publikum packt, und dass er auch Serie kann, hat er mit "Dogs of Berlin" (2018, Netflix) bewiesen. "Sløborn" kann die entsprechend hohen Erartungen allerdings nur bedingt erfüllen.

Viel zu viel Raum nimmt zum Beispiel das Projekt eines Sozialarbeiters für straffällig gewordene Jugendliche ein. Ein zweiter Seitenstrang wirkt ebenfalls wie Beiwerk, ist jedoch äußerst amüsant, weil Alexander Scheer seine Rolle als verkokster neuer Stern am deutschen Literaturhimmel bis an die Grenze der Karikatur auskostet: Nikolai Wagner ist von einer etwas verhuscht wirkenden Buchhändlerin (Laura Tonke) zu einer Lesung eingeladen worden. Die Pfarrersgattin schwärmt wie ein Teenager für den zwar selbstverliebten, aber unter einer Schreibblockade leidenden Literaten und will ihm helfen, den Drogen zu entsagen, was jedoch bloß zur Folge hat, dass Wagner auf der Suche nach Stoff mehrfach in ganz erhebliche Mitleidenschaft gezogen wird; außerdem ist er völlig pleite und kann die Insel nicht verlassen. Das wiederum entpuppt sich als Glücksfall, denn die Ereignisse liefern den perfekten Stoff für seinen neuen Roman.

Auch Emily Kusche macht ihre Sache als wichtigste Identifikationsfigur nicht nur auf dem Skateboard herausragend gut. Die junge Schauspielerin ist längst mehr als nur ein vielversprechendes großes Talent. Sie hat bereits in Alvarts Thriller "Steig.Nicht.Aus!" (2018) mitgewirkt, auch dort als Filmtochter von Möhring. Ein besonderer Reiz liegt zudem im aktuellen Bezug. Selbstverständlich konnte Alvart nicht ahnen, dass die Realität seine Geschichte überholen würde; umso verblüffender sind die vielen Parallelen zur Corona-Pandemie. Ähnlich interessant wie bei der Sky-Serie "8 Tage" ist auch die Kombination der Genres Endzeit-Thriller und Familiendrama, zumal Alvart und seine Koautoren die erwachsenen Figuren sehr differenziert konzipiert haben.

Anfangs sorgt allerdings allein die herausragend gute Musik (Christoph Schauer, Max Filges) für eine "Da kommt was auf uns zu"-Stimmung. Dieses "Was" ist das führerlos übers Meer schießende Segelschiff, das in einer spektakulären Szene ein Motorboot zweiteilt. Richtig los geht es im Grunde erst ab Folge sechs, wenn die Seuche tatsächlich ausbricht, und ab Folge sieben grassiert der pure Horror, nun wird die Serie zum Hochspannungs-Thriller: Die Ordnungskräfte verlieren komplett die Kontrolle, die Evakuierung der Insel erinnert eher an eine Deportation, in den Auffanglagern gibt es ein Massensterben, und Evelin hat nur noch ein Ziel: irgendwie überleben und ihre Brüder retten. Einige der Filmfiguren bleiben auf der Strecke, allerdings nur zum Teil wegen des Virus’; die eingesetzten Bundeswehrsoldaten haben einen Schießbefehl.

Selbst wenn die Serie rechtzeitig fertig gewesen wäre, hätte das ZDF sie garantiert nicht während der Corona-Pandemie ausgestrahlt. Für die letzten 160 Minuten hat Alvart zudem einen eindrucksvollen Aufwand betrieben, nun erreicht die Serie nicht nur optisch die Qualität großer Kinoproduktionen und kann sich ohne Weiteres mit Filmen wie "Outbreak" oder "Contagion" messen. Trotzdem ist es schade, dass der Regisseur anders als etwa die raffiniert konzipierte ZDF-Serie "Die verlorene Tochter" (2020) die erzählerischen Möglichkeiten des Formats nicht nutzt, sondern einen Spielfilm in acht Teilen erzählt. Die bereits gestern ausgestrahlten ersten vier Folgen stehen in der ZDF-Mediathek; heute zeigt Neo die Folgen fünf bis acht.