TV-Tipp: "37 Grad: Keine leichte Geburt"

Altmodischer Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "37 Grad: Keine leichte Geburt"
19.5., ZDF, 22.15 Uhr
Es ist bedrückend, wie wenig materielle Wertschätzung ausgerechnet jene Berufe erfahren, von denen unser Leben abhängt. Unterm Strich ist die "37 Grad"-Reportage mit dem naheliegenden Titel "Keine leichte Geburt" daher nicht zuletzt ein Plädoyer für bessere Bezahlung all’ jener Menschen, die im Rahmen von medizinischer Versorgung tätig sind.

Annette Heinrich stellt in ihrem Film drei Hebammen vor, für die der Beruf vor allem Berufung ist, was sich gut nachvollziehen lässt: Wegen des Geldes tut sich vermutlich niemand diesen Knochenjob an. Zwei der drei Geburtshelferinnen, Anna (38) und Melanie (45), sind selbstständig, die dritte arbeitet in einem Krankenhaus der Caritas. Diese Kliniken müssen im Unterschied zu anderen Einrichtungen keinen Gewinn erwirtschaften, aber kostendeckend arbeiten; Druck gibt es also auch hier. Weil die Station unterbesetzt ist, muss sich Peggy (45) neben den üblichen Nebenbeschäftigungen (Desinfektion, Aufräumen, Material nachfüllen) während ihrer Nachtschicht um drei Mütter gleichzeitig kümmern.

Eigentlich wäre es noch eine mehr, aber bei der vierten Frau wacht Melanie. Sie weicht nicht von ihrer Seite, und so sollte es sein: Wer die ganze Zeit betreut wird, braucht weniger Schmerzmittel, und womöglich ließe sich dann auch die Zahl der Kaiserschnitte reduzieren. Es gehört zu den Qualitäten dieser Reportage, dass sich die Autorin im Unterschied zu vielen anderen "37 Grad"-Beiträgen nicht allein auf ihre Protagonistinnen konzentriert, sondern auch das große Ganze im Blick hat: In den Niederlanden kommen nur 17 Prozent der Kinder durch Kaiserschnitt auf die Welt, hierzulande sind es 31 Prozent. Dahinter stecken nicht zuletzt ökonomische Faktoren: Wenn eine Geburt zu lange dauert, wird sie für die Klinik unrentabel. Dass eine natürliche Geburt für Mutter und Kind aus vielerlei Gründen das Beste ist, versteht sich von selbst.

Ein typisches Merkmal der Reihe sind Interviews während Autofahrten. Mitunter mag das praktische Gründe haben, weil die Menschen auf diese Weise nicht von ihrer Arbeit abgehalten werden, aber oft wirken solche Gespräche auch wie der Versuch, ein bisschen Dynamik in die Filme zu bringen. Davon kann in diesem Fall keine Rede sein, im Gegenteil: Die beiden freiberuflichen Hebammen sind ständig unterwegs und müssen dabei teilweise auch lange Strecken zurücklegen. Weil sie außerdem rund um die Uhr erreichbar sind, gibt es kaum Erholungsphasen; so etwas funktioniert nur, wenn die Familie mitspielt. Die geistige und körperliche Belastung ist enorm: Die beiden Frauen haben praktisch nie frei, weil sie ständig auf Abruf sind und daher selbst nachts nicht völlig abschalten können. Anna macht zudem auch Hausgeburten, inklusive Vor- und Nachsorge. Melanie, die zusätzlich viel private Zeit für die (schlecht bezahlte) Wochenbettbetreuung opfert, wird prompt regelmäßig krank, wenn sie mal 14 Tage frei hat; ein typisches Zeichen für Raubbau an den Ressourcen. Kein Wunder, dass bei den Erzählungen des Trios auch mal das Wort „Aufopferung“ fällt und es immer weniger Hebammen in der außerklinischen Geburtshilfe gibt. 

Alle Frauen haben drei Kinder; das wird Zufall sein. Dass sie alle um die vierzig sind, passt hingegen ins Bild: Heinrich wollte offenkundig Protagonistinnen, die einerseits Erfahrung haben, andererseits noch nicht ausgebrannt sind. Die Frage, wie lange man diese Arbeit ausüben kann, ist die einzige Leerstelle des Films. Selbst die stärkste Frau wird diesen außerordentlichen psychischen und physischen Stress nicht vier Jahrzehnte aushalten. Aber wie sieht die Alternative aus? Können Anna und Melanie ihren Beruf noch ausüben, wenn ihnen die Kräfte ausgehen, können sie kürzer treten? Dieser Aspekt kommt leider nicht zur Sprache.

Davon abgesehen lässt die Reportage keine Wünsche offen. Annette Heinrich verzichtet zum Beispiel komplett auf eine für "37 Grad" nicht untypische künstliche Emotionalisierung und wahrt Diskretion, wo sie angebracht ist. Natürlich wird es den drei Frauen auch ein Anliegen gewesen sein, über ihre Arbeit zu informieren, schließlich hat ausgerechnet dieser Beruf ein Nachwuchsproblem. Trotzdem verdient es Respekt, dass sie derart tiefe Einblicke in ihr Seelenleben gewähren. Anerkennung gebührt auch den Müttern, die die Anwesenheit des Filmteams zuließen, denn nur so kann der Film vermitteln, warum Anna, Melanie und Peggy bereit sind, so viele Entbehrungen in kauf zunehmen: Sie haben das große Glück, mehrmals pro Woche das Wunder des Lebens erleben zu dürfen.