Mit Maske, Abstand und Halleluja

Protestantische Kathedrale in Nürnberg fasst unter Corona Hygienevorschriften nur 60 Personen.
© epd-bild/Timm Schamberger
120 Sitzbänke passen normalerweise in die Nürnberger Lorenzkirche, die im Jahr 2015 wegen einer icht- und Kunstinstallationen geräumt wurde und ihre Weitläufigkeit offenbahrte. Trotzdem passen in die bayrische, protestantische Kathedrale unter Corona Hygienevorschriften nur 60 Personen.
Mit Maske, Abstand und Halleluja
Unter detaillierten Schutzbestimmungen feiern am Sonntag evangelische Kirchen in Bayern wieder Live-Gottesdienste
Viele bayerische Gemeinden öffnen am Sonntag Kantate die Kirchen für Gottesdienste mit Besuchern. Getrübt wird die Vorfreude durch die strengen Auflagen: Kirchenbesucher müssen Mundschutz tragen, und Singen ist nur eingeschränkt erlaubt.
07.05.2020
epd
Susanne Schröder

Der Meterstab ist gerade das wichtigste Utensil im Dekanat Nürnberg: "Derzeit wird überall gemessen und berechnet", sagt Dekanatssprecherin Stefanie Reuther. Selbst in eine so große Kirche wie St. Sebald passten bei Einhaltung der Vorgaben maximal 50 Personen in die Bänke. Nach Bekanntgabe der Schutzmaßnahmen am 28. April sei schnell klar geworden, dass es "normale Gottesdienste" nirgends geben könne. "Was das für die Stimmung im Gottesdienst bedeutet, wird sich in den nächsten Wochen zeigen", schreibt Reuther.

Das bayerische Kabinett hatte Ende April beschlossen, dass Gottesdienste in Bayern ab 4. Mai wieder stattfinden können. Grundlage dafür ist ein gemeinsames, vom Robert-Koch-Institut geprüftes Schutz- und Hygienekonzept der beiden großen Kirchen, in dessen Rahmen die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern weitere detaillierte Empfehlungen für ihre 1.540 Gemeinden veröffentlicht hat. Sie schreiben den Gemeinden unter anderem die Regelung von Mindestabständen, den Umgang mit Gesang und das Vorgehen beim Abendmahl vor.  

Und so tüfteln die Gemeinden jetzt an Konzepten für die ersten analogen Gottesdienste seit vielen Wochen. Gar nicht so leicht, stellt der Fürstenfeldbrucker Dekan Markus Ambrosy fest: Vor allem die Zehn-Meter-Abstandsregel zwischen Geistlichem und Gemeinde sei "wohl vor allem auf katholische Kirchen ausgerichtet." In manchen oberbayerischen Kirchen bliebe nach Wahrung der gebotenen Distanz nur noch Platz für fünf Besucher. "Das macht keinen Sinn", sagt Ambrosy. Karin Jordak ist Pfarrerin in einer solchen Kirche: Gerade mal 120 Quadratmeter misst der Innenraum der Auferstehungskirche in Neufahrn bei Freising. "Wir planen deshalb immer, wenn es das Wetter irgendwie erlaubt, auf unserer Pfarrwiese im Freien Gottesdienst zu feiern", sagt Jordak.  

Doch selbst die großen protestantischen Kathedralen stoßen an ihre Grenzen. In der Nürnberger Lorenzkirche hat man ernüchtert festgestellt, dass wegen eines Baugerüsts nur 60 Menschen in die Kirche passen. Am Eingang würden die Gottesdienstbesucher mithilfe von Klappkarten gezählt, die für jedermann sichtbar die aktuelle Ziffer anzeigen. "Sind 60 Personen drin, müssen wir die Kirche leider schließen", sagt Pfarrerin Claudia Voigt-Grabenstein.  

Wachsendes Unbehangen

Trotz Abstandsregel könnte die Lukaskirche in München 100 Menschen platzieren - hier limitiert der Vorschriftenkatalog den Gottesdienstbesuch auf 80 Personen. Mehr kämen zwar an einem normalen Sonntag auch sonst nicht, sagt Pfarrer Helmut Gottschling, doch ob der Ansturm nach der Zwangspause größer sei, sei schwer abzuschätzen. Die Online-Gottesdienste hätten jedenfalls zuletzt zur YouTube-Premiere am Sonntagvormittag rund 100 Teilnehmer gehabt - an den digitalen Angeboten halte die Gemeinde deshalb trotz der Wiederaufnahme von Live-Gottesdiensten fest.  

Bei aller Wehmut über die fehlenden "echten" Begegnungen in "analogen" Gottesdiensten, die in den letzten Wochen geäußert wurde - jetzt, wo es wieder losgehen darf, wächst bei manchen auch ein Unbehagen. So nennt die Religionspädagogin Elisabeth Buck auf ihrer Facebook-Seite Gottesdienste mit Zugangsbeschränkung ein "absolutes No-Go". Ihr Mann, der fränkische Liedermacher Wolfgang Buck, schreibt, er werde aus Gründen des Infektionsschutzes solange auf den Gottesdienstbesuch verzichten, "bis man niemanden mehr abweisen muss, man wieder singen darf und man sich guten Gewissens die Hand geben kann".

Gottesdienst als "einsame Geistervernastaltung"?

Martin Schulte, Pfarrer an der Regensburger Dreieinigkeitskirche, äußerte die Befürchtung, dass Gottesdienste wegen des Schutzkonzepts "einsame Geisterveranstaltungen" werden könnten. Auch der Rosenheimer Dekanatskantor Johannes Eppelein ist, trotz des Wunschs nach echten Begegnungen, skeptisch: "Die Vorschriften sind ein Stimmungskiller", sagt der Kirchenmusiker. Er befürchte, dass manche angesichts von Masken, Abstand und fehlendem Gesang "nachher ängstlicher sind als vorher".  

Noch drastischer formuliert es Tilmann Haberer, der die ökumenische Beratungsstelle "Münchner Insel" leitet: Wenn er lese, dass die "Gemeinsame Verpflichtung" der katholischen und der evangelischen Kirche allen kranken Menschen die Teilnahme am Gottesdienst verbiete, drehe sich ihm der Magen um. "Dann lieber gar keine Gottesdienste als exklusive Feiern für 'Gesunde', wo die Mühseligen und Beladenen ausgeschlossen sind", schreibt der evangelische Pfarrer auf Facebook.  

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm verwies auf epd-Anfrage darauf, dass es sehr unterschiedliche Bedürfnisse gebe. Manche Menschen kämen gut noch eine Weile mit medialen Gottesdiensten aus, für andere sei aber die Kirche als Gottesdienstort "für die eigene Glaubensstärkung unverzichtbar". Die Einschränkungen seien schmerzlich, so Bedford-Strohm: "Aber Gottes Wort hören auch Ohren, um die ein Gesichtsmaskengummi gespannt ist. Und der Heilige Geist kann auch zwei Meter Abstand zwischen Menschen in den Kirchenbänken überbrücken."

An der Augsburger Matthäuskirche will Pfarrer Thomas Bachmann hingegen die bevorstehenden Live-Gottesdienste gar nicht groß bewerben. Er setzt weiter auf Online-Angebote. "Wir haben so ein tolles Feedback bekommen in den vergangenen Wochen, dass wir weiterhin auch eine Online-Kirche sein wollen", sagt Bachmann.  

So sehen es viele andere bayerische Gemeinden auch und halten, parallel zu den analogen Formen, an ihren mittlerweile bewährten digitalen Angeboten fest. Möglicherweise haben die längst ihre eigenen Fangemeinden.