TV-Tipp: "Lang lebe die Königin" (ARD)

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TV-Tipp: "Lang lebe die Königin" (ARD)
29.4., ARD, 20.15 Uhr
Das hat es in der langen Geschichte des deutschen Fernsehfilms garantiert noch nicht gegeben: Wegen der schweren Erkrankung von Hannelore Elsner mussten die Dreharbeiten zu "Lang lebe die Königin" abgebrochen werden. Als sie dann im April 2019 starb, stand der Bayerische Rundfunk vor der Frage, wie es mit dem unvollendeten Film weitergehen sollte. Die Entscheidung war gewissermaßen eine Flucht nach vorn.

Autorin Gerlinde Wolf hatte die ungewöhnliche Idee, Elsners Rolle in den noch fehlenden fünf Szenen von fünf verschiedenen Schauspielerinnen verkörpern zu lassen. Die Entscheidung war gewissermaßen eine Flucht nach vorn: Mit einem Double hätte der Nachdreh nicht funktioniert. Wäre nur eine Kollegin eingesprungen, hätte das vermutlich sehr seltsam gewirkt. Filme werden ja nicht chronologisch gedreht, es wäre ein ständiges Hin und Her geworden. Das ist es nun natürlich auch, aber eben demonstrativ. Trotzdem ist die BR-Idee ein Experiment, auf das sich die Zuschauer einlassen müssen. Wer darauf nicht vorbereitet ist, wird sich sehr irritiert die Frage stellen, wieso die Figur plötzlich von Gisela Schneeberger und dann auch noch von Judy Winter, Iris Berben, Hannelore Hoger und Eva Mattes verkörpert wird.

Der Film handelt von einer jener Mutter/Tochter-Geschichten, wie sie schon oft erzählt worden sind: Nina (Marlene Morreis) hat immer um die Anerkennung ihrer Mutter Rose kämpfen müssen; ihr älterer Bruder Leon (Ole Puppe) war stets Mamas Liebling. Als Rose schwer erkrankt, stellt sich Nina endlich dem Konflikt. Allerdings nimmt die Handlung allerlei Umwege, damit Wolf den Dramenstoff als Tragikomödie erzählen kann. Unter anderem hat sie aus der Tochter eine Figur gemacht, die im Grunde ähnlich unvollendet ist wie der Film: Nina ist ausgebildete Schauspielerin, verdient ihren Lebensunterhalt aber als Moderatorin eines Münchener Teleshoppingsenders, was Rose gern mit einiger Bosheit kommentiert ("Fernsehquatsch"). Marlene Morreis verkörpert diese Frau trotzdem nicht als Gescheiterte, selbst wenn die Utensilien, die sie anpreist, eher skurril als wirklich nützlich sind; die entsprechenden Szenen gehören zu den heiteren Höhepunkten des Films. Dass in Nina eine Rebellin schlummert, verdeutlicht nicht zuletzt ihr Auto, ein Ford Mustang Convertible, der jedoch dauernd den Geist aufgibt. Das passt zwar ins Bild – der Wagen macht ähnliche Zicken wie seine Besitzerin –, ist aber ein Trick der Autorin, um Mike (Matthias Kelle) einzuführen, einen Pannenhelfer, der so lange an Nina rumschraubt, bis sie seinem Werben endlich nachgibt. Originell ist auch die Idee, die Autofahrten mit Klassikern der Popmusik zu unterlegen, deren amerikanische Interpreten das Liedgut aber auf Deutsch zum Besten geben.

Herzstück der Handlung sind jedoch die von einer Art Hassliebe geprägten Auseinandersetzungen mit Rose. Auch auf dieser Ebene sorgt ein kurioser Einfall dafür, dass der von Grimme-Preisträger Richard Huber ("Dr. Psycho") souverän in der Schwebe gehaltene Film trotz der lebensbedrohlichen Erkrankung zumindest eine komische Note behält: Rose hat einen Nierentumor. Nina macht umgehend klar, dass sie als Spenderin nicht in frage komme, weil sie ein Kind erwarte. Da die Geschichte mehrfach sieben Monate vor und zurück springt, kann Wolf die Schwangerschaft als Scharade entlarven, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Ähnlich lakonisch ist der Witz einer Szene, als Nina ihre Mutter im Krankenhaus besucht, ihr Blutdruck in den Keller sackt und die Ärztin (Therese Hämer) ihr trocken mitteilt, sie habe die "Schwangerschaft" (ein künstlicher Bauch) in einer Tasche deponiert. Diese Form des Humors zieht sich durch den ganzen Film, der immer dann am besten ist, wenn das Offensichtliche nicht auch noch ausgesprochen wird. Deshalb hätte er vermutlich auch ohne das Etikett "Emanzipationsgeschichte" funktioniert: In einer Art Vorbemerkung erzählt Morreis zu Beginn aus dem Off, dass wir als Prinzen und Prinzessinnen geboren und von unseren Müttern zu Fröschen gemacht werden. Den Rest unseres Lebens verbringen wir damit, den Urzustand wiederherzustellen.

Hannelore Elsner hat solche Übermütter, an denen sich die Töchter ein Leben lang abarbeiten, in den letzten Jahren oft gespielt: in "Alles inklusive"  (2014), in "Ferien vom Leben" (2017) und in "Die Diva, Thailand und wir!" (2017). Jedes Mal die gleiche Konstellation und trotzdem jedes Mal aufs Neue sehenswert; auch und gerade wegen ihr. In "Lang lebe die Königin" sind die gemeinsamen Szenen mit Morreis ebenfalls großes Schauspiel. Die später gedrehten Ergänzungen offenbaren, dass tatsächlich niemand anders als Elsner die Rolle dieser "Alltagssadistin" spielen konnte, die mit Vergnügen Salz in die Wunden ihrer Tochter streut; zumindest nicht mit dieser verwirrenden Mischung aus Attraktivität, Charme und Giftigkeit. "Sie war schon ein seltenes Miststück", stellt Roses Lebensgefährte Werner (Günther Maria Halmer) gegen Ende voller Respekt fest. Den Darbietungen der Kolleginnen fehlt zudem ein Element, das fast ein bisschen makaber ist: Bei den Dreharbeiten war Elsner bereits von der Krankheit gezeichnet, was nicht nur perfekt zur Rolle passt; die Mischung aus sichtbarer Fragilität und ungebrochener darstellerischer Intensität macht einen besonderen Reiz des Films aus. Abgesehen davon ist "Lang lebe die Königin" – schon der Titel ist eine Hommage an die Hauptdarstellerin – eine große Würdigung dieser letzten deutschen Diva; ihre Schlussszene wäre auch ohne ihren Tod ein überaus berührender Moment gewesen.