"Abstand ist die richtige Form der Nähe"

"Abstand ist die richtige Form der Nähe"
Predigen vor leeren Kirchenbänken: Der Berliner Senat hat wegen der Coronavirus-Pandemie am Wochenende Veranstaltungen mit mehr als 50 Menschen verboten. Die Kirchen versuchen, sich darauf einzustellen.

"Entfällt! Gottesdienst", "Entfällt! Orgelführung", "Entfällt! Benefiz-Klavierkonzert", "Entfällt! Auferstehungsfeier": Die Ansagen auf der Internetseite der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in der City West lassen keinen Raum für Missverständnisse. Wegen einer neuen Verordnung des Berliner Senats zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus seien alle Gottesdienste und Veranstaltungen bis auf weiteres abgesagt. "Unsere Kirchengebäude bleiben geschlossen." Berlin war am Sonntag nicht der einzige Ort In Deutschland, an dem der Gottesdienst ausfällt. In weiten Teilen des Landes sagten evangelische Kirchen und katholische Bistumer wegen der neuen Epidemie die liturgischen Feiern ab. Sie verwiesen die Gläubigen auf Rundfunk- und Online-Gottesdienste.

"Kann nicht in der Kirche mitgefeiert werden: Rundfunk-Gottesdienst mit Bischof Dr. Christian Stäblein", heißt es bei der evangelischen St. Marienkirche am Berliner Alexanderplatz: "Bitte verfolgen Sie den Gottesdienst live im Radio." "Absage aller Gottesdienste", meldet der evangelische Berliner Dom auf seiner Webseite: "10-Uhr-Gottesdienst live auf Facebook." Auch im katholischen Berliner Erzbistum wurden Veranstaltungen und Gottesdienste abgesagt.

Der Senat hatte am Samstagabend kurzfristig alle Veranstaltungen mit mehr als 50 Beteiligten in der Bundeshauptstadt verboten. Außerdem wurde angeordnet, Kneipen, Clubs, Spielhallen, Kinos, Fitnessstudios und andere Einrichtungen für den Publikumsverkehr zu schließen. "Für öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen bis 50 Personen muss der Veranstalter eine Anwesenheitsliste führen, die Name, Adresse, Anschrift und Telefonnummer enthält", heißt es dort weiter: "Diese Liste muss mindestens vier Wochen aufbewahrt werden und auf Verlangen des Gesundheitsamtes vollständig ausgehändigt werden."

Der Rundfunkgottesdienst mit dem Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, konnte wegen der Verordnung am Sonntag nur mit wenigen Menschen vor Ort gefeiert werden. Rund 30 Personen seien in der Marienkirche gewesen, hieß es. Darunter neben dem Bischof und anderen Beteiligten auch der Chor.

Er könne die Gläubigen zu dem Gottesdienst "hier in der Kirche ja nun nicht mehr" begrüßen, dafür aber an anderen Orten vor den Rundfunkgeräten, sagte Bischof Stäblein: "Was zu tun ist, um die Infektionskette von Covid-19 zu unterbrechen, wird getan." Die Sorge gelte als Erstes denen, die den Schutz der Gemeinschaft brauchen. "Abstand ist die richtige Form der Nähe", betonte Stäblein: "Auch die kirchlichen Feiern schicken sich ins Abstandsgebot."

Gestärkt im Füreinander

Kirchengemeinden müssten dennoch "hingucken, wo Menschen uns brauchen", sagte der Bischof. Austausch sei nun auch über den Twitter-Hashtag #wirsindda möglich, betonte Stäblein: "Das ist die moderne Variante des Beieinanderseins." Nun gelte es, diese auch zu nutzen. Die Kirchengemeinden müssten ein fürsorgendes Netzwerk sein, betonte Stäblein: "Wir sind da, bereit für den Nächsten."

Angst müsse zugelassen werden, der Krise jedoch mit Verstand begegnet werden, sagte der Bischof: "Ich muss nicht hamstern, das forciert nur die Angst." Die Beschränkungen des öffentlichen Lebens könnten nun dazu genutzt werden, einander zuzuhören, mit den Kindern zu spielen, sich um Nachbarn zu kümmern, Bücher zu lesen, zu beten. Die Coronakrise biete auch die Chance, daraus "gestärkt im Füreinander" hervorzugehen. Und die Kirchenschließungen haben aus Sicht von Gemeindemitgliedern auch positive Aspekte. Dass im Rundfunkgottesdienst in der Marienkirche der Chor am Sonntag ohne Gemeinde gesungen hat, sei nicht verkehrt gewesen, kommentiert eine Zuhörerin: "Der Gesang war viel schöner als sonst."