TV-Tipp: "Blind ermittelt - Die verlorenen Seelen von Wien"

Altmodischer Fernsehapparat steht auf Tisch.
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Blind ermittelt - Die verlorenen Seelen von Wien"
27.2., ARD, 20.15 Uhr
Der bedrohlich klingende Begriff "Daredevil" steht im Englischen anerkennend für Draufgänger oder Teufelskerle. Der New Yorker Anwalt Matt Murdock ist zwar ein ruhiger und besonnener Mensch, doch das ändert sich, wenn er als Daredevil Verbrecher jagt: Ein Unfall mit radioaktiven Flüssigkeiten raubte ihm einst das Augenlicht, schärfte aber dafür all’ seine anderen Sinne. Gut möglich, dass Ralph Werner und Wolfgang Wysocki den Comic-Helden vor Augen hatten, als sie die ARD-Reihe "Blind ermittelt" schufen. Der zum Rhythmus des Falco-Hits "Der Kommissar" rasant geschnittene Prolog mündet in eine lässige Aktion der Hauptfigur Alexander Haller (Philipp Hochmair): Der Ex-Polizist bringt einen flüchtenden Dieb zu Fall und bittet anschließend die Besitzerin der gestohlenen Handtasche, ihn über die Straße zu geleiten. Damit ist der besondere Tonfall des Krimis gesetzt: sehr cool, durchaus spannend, aber zwischendurch auch mit einem gewissen Augenzwinkern, wenn Haller in einer überhöht inszenierten Kampfeinlage zwei Ganoven außer Gefecht setzt.

Häufiger noch als beim Auftakt der Reihe, "Die toten Mädchen von Wien" (2018), gibt es im zweiten Film Szenen, die das extrem gute Gehör des Helden betonen. Haller war Chefinspektor in Wien, bis er bei einem Bombenanschlag erblindete. Nun übernimmt Nikolai Falk (Andreas Guenther) für ihn das Sehen. In den faszinierendsten Momenten des Krimis schickt der Ex-Polizist seinen Freund in dessen Erinnerungen, um sich bestimmte Details ins Gedächtnis zu rufen; dann frieren die Bilder in Falks Kopf ein, sodass er in ihnen herumlaufen kann. "Die verlorenen Seelen von Wien" beeindruckt ohnehin durch eine enorme Stilsicherheit; kaum zu glauben, dass Jano Ben Chaabane, der gemeinsam mit Werner das Drehbuch geschrieben hat, vor dem ersten "Blind"-Krimi nur die allerdings ebenfalls beachtliche Priesterkrimiserie "Culpa – Niemand ist ohne Schuld" (13th Street) gedreht hat.

Hatten Haller und Falk in ihrem ersten Fall noch einen Serienmörder gejagt, so sind sie nun ganz persönlich betroffen: Ein Pärchen (Sabin Tambrea, Julia Franz Richter) hat Hallers Schwester Sophie (Patricia Aulitzky) entführt. Natürlich wollen die beiden ein Lösegeld, aber der Arbeitstitel "Blutsbande" deutet an, dass es um mehr geht; das eigentliche Motiv ist Rache. Der Handlungskern mag überschaubar sein, aber wie Werner und Chaabane die Geschichte verpackt haben, ist nicht zuletzt optisch ein großes Vergnügen; Tobias Koppe war auch bei den früheren Arbeiten des Regisseurs für die Bildgestaltung verantwortlich. Schon allein der kunstvolle Umgang mit dem Licht bewegt sich deutlich über dem Fernsehdurchschnitt. Als Haller einen Freund (Johannes Silberschneider) seines verstorbenen Vaters im Gefängnis besucht, wirkt die schummrige Beleuchtung, als sei der Mann irgendwo vergessen worden. Wenn Falk versucht, die Entführung zu verhindern, stürzt sich die Kamera dagegen mitten ins Getümmel. Zu Chaabanes Weggefährten gehört auch Tim Schwerdter, der eine hörenswerte elektronische Musik komponiert hat.

Gerade dank der Figuren ist "Blind ermittelt" jedoch weit mehr als bloß bemerkenswertes Handwerk und technische Finessen. Haller ist nicht verbittert, er macht das Beste aus seiner Lage und ist dank seiner gesteigerten Sensibilität womöglich sogar ein besserer Ermittler als früher mit Augenlicht. Interessant ist auch seine Schule des Sehens, mit der er Falks Aufmerksamkeit und Beobachtungsgabe schärfen will. Der Freund wiederum ist zunächst überzeugt, dass Sophie in die Hände einer Wettmafia gefallen ist: Er hat 50.000 Euro Spielschulden, weshalb ihm und Haller ständig die zwei zwielichtigen Gestalten in die Quere kommen, die Haller auf die Bretter geschickt hat. Sophie ist ebenfalls kein wehrloses Opfer: Clever versucht sie, einen Keil zwischen das Entführerpärchen zu treiben. Eine wichtige Rolle spielt auch Hallers frühere Mitarbeiterin Laura (Jaschka Lämmert), die nichts von der Entführung erfahren darf, um Sophie nicht zu gefährden, aber trotzdem ermittelt: Es gab einen dritten Kidnapper, doch der ist nun tot. Laura hat zwar keine Ahnung, warum ihr Ex-Chef so geheimnisvoll tut, ahnt jedoch, dass dieser Todesfall damit zusammenhängt.

Die Bilder wirken nicht nur gestalterisch aufwändig, die Schauplätze sorgen gleichfalls für große Schauwerte: Als Sophie entführt wird, besucht sie gerade mit Falk eine Aufführung im Burgtheater. Eine erste Lösegeldübergabe findet im Riesenrad auf dem Prater statt. Mondän ist auch das Zuhause der Geschwister: Die beiden haben das Luxushotel ihrer Eltern geerbt.