TV-Tipp: "Polizeiruf: Totes Rennen" (ARD)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Polizeiruf: Totes Rennen" (ARD)
16.2., ARD, 20.15 Uhr
Als der MDR 2013 sein neues "Polizeiruf"-Team aus Magdeburg einführte, wollte der Sender offenbar ein garantiert unverwechselbares Duo ins Rennen schicken: Hauptkommissarin Brasch (Claudia Michelsen) konnte Muskelprotze mit einer Handbewegung auf die Bretter schicken, fuhr Motorrad und hatte einen Neonazi-Sohn; ihr Partner (Sylvester Groth) war homosexuell.

Im Lauf der Jahre wurde die anfangs völlig teamunfähige Ermittlerin zunehmend zutraulicher, jedenfalls für ihre Verhältnisse, was nicht nur am freundlichen neuen Kollegen Köhler (Matthias Matschke, ab 2016) lag, sondern auch an der Beziehung zu einem Polizeipsychologen lag. Köhler hat nun ebenfalls seinen Hut genommen, der Psychologe wirkt im zwölften Film auch nicht (mehr?) mit. Den Freiraum nutzt das Drehbuch (Stefan Dähnert, Lion H. Lau), um Braschs Chef Lemp (Felix Vörtler) in den Vordergrund zu rücken und einen potenziellen neuen Partner einzuführen: Hannes Kehr (Michael Maertens) leitet beim LKA Sachsen-Anhalt eine „Soko Toto“, die bundesweit Manipulationen im Sportwettenbereich untersucht.

Die Schwierigkeit bei einem derartigen Thema ist der hohe Erklärungsbedarf. Oftmals scheitern Krimis an dieser Klippe, weil ein Experte einen ermüdenden Vortrag halten muss, der zu viele Informationen in zu kurzer Zeit vermitteln soll. Diese Aufgabe haben die Autoren im neuen Fall clever gelöst. Brasch weiß über den Wettbetrug auch nicht mehr als die Zuschauer, weshalb Kehr weit ausholen muss, aber Torsten C. Fischer, ohnehin ein ausgezeichneter Krimiregisseur, dessen Beiträge zu Reihen wie „Tatort“ (zuletzt „Monster“ aus Dortmund), „Spreewaldkrimi“ oder eben „Polizeiruf 110“ stets sehenswert sind, hat die Ausführungen geschickt in eine Handlung gebettet: Während Kehr referiert, macht Brasch die Probe aufs Exempel und erlebt in einem Wettbüro hautnah, wie rasch man dem Spielteufel verfallen kann.

„Totes Rennen“ beginnt jedoch erst mal mit dem obligaten Leichenfund. Mit Hilfe des Opfers zeichnet das Drehbuch das Bild eines typischen Spielsüchtigen, der selbst das Sparbuch seines Kindes plündert; seine Frau (Anke Retzlaff) hat die Scheidung eingereicht und sitzt nun auf dem Schuldenberg, den der Gatte hinterlassen hat. Bei einem Anruf kurz vor seinem Tod hat er ihr von einem „todsicheren Tipp“ erzählt, der mindestens eine halbe Million Euro wert sei. Als Brasch tief ins Wettmilieu eintaucht, führen die Ermittlungen sie schließlich auf die Pferderennbahn; offenbar soll das nächste große Rennen manipuliert werden.

Abgesehen von der ungewöhnlichen Thematik klingt das Handlungsgerüst nach handelsüblichem Krimi, aber eine clevere Idee sorgt dafür, dass über dem Film eine ganz eigene Spannung liegt. „Totes Rennen“ beginnt mit blutroten Bildern: ein Traum der Kommissarin, der das Finale vorwegnimmt. In diesem Traum wirkt auch Kehr mit, obwohl Brasch den Mann zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kennt. Die Aufnahmen tauchen immer wieder auf und haben zur Folge, dass der Soko-Leiter eine undurchschaubare Figur bleibt, obwohl Michael Maertens die Rolle mit viel Sympathie versieht: Im Gegensatz zu seiner arroganten Chefin (Therese Hämer), die der Mordkommission keinerlei Einblick in die bisherigen Ermittlungen gewähren will, verhält sich Kehr geradezu vorbildlich. Er verrät Brasch nicht nur, dass das Opfer (Vincent Krüger) für ihn als V-Mann in der Szene tätig war, sondern weiht sie sogar in ein sehr persönliches Geheimnis ein.

Interessant ist auch die Idee, die Kommissarin psychisch und physisch angeschlagen agieren zu lassen. Der Alptraum, in dem sie entsetzt auf ihre blutigen Händen schaut, versetzt sie in gewisse Verwirrung. Außerdem hat sie derart starke Schulterschmerzen, dass sie ihren rechten Arm kaum bewegen, was zu einem hübschen Auto-Teamwork führt: Brasch fährt, Kehr schaltet. Der Kollege wäre ohnehin als neuer Partner gut vorstellbar, zumal er sich in einer prekären Situation auch noch als Kavalier erweist; wenn da nur nicht dieser Zweifel wäre. Die Wurzel des Misstrauens ist zwar bloß ein Traum, aber der wird Wirklichkeit, als der Fall längst geklärt zu sein scheint.

Trotzdem hat Fischer darauf verzichtet, den „Polizeiruf“ plakativ zu inszenieren. Die knallroten Bilder, die zwischendurch immer wieder an den Prolog erinnern, sind das einzige optische Ausrufezeichen; auch die Musik (Warner Poland, Wolfgang Glum) ist eher interessant als spannungssteigernd. Dass die Heldin kaum noch etwas mit der Antifigur aus den ersten Filmen gemeinsam hat und sich zu einer beinahe ganz normalen TV-Ermittlerin entwickelt hat, ist dagegen durchaus angenehm.