TV-Tipp: "Helen Dorn: Atemlos" (ZDF)

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TV-Tipp: "Helen Dorn: Atemlos" (ZDF)
25.1., ZDF, 20.15 Uhr
Dieser Thriller wird seinem Titel vollauf gerecht: "Atemlos" beginnt auf hohem Spannungsniveau und steigert die Intensität sogar noch. Der eigentliche Reiz des Films liegt jedoch in der Kombination eines ungleichen Gespanns: Die einsame Wölfin Helen Dorn (Anna Loos) muss sich einer jungen Frau annehmen, deren rebellisches Wesen sie an ihre eigene Jugend erinnert.

Die 15jährige Streunerin Mona (Valerie Stoll) ist die einzige überlebende Zeugin eines Verbrechens, und natürlich wollen die Gangster das Mädchen ausschalten. LKA-Hauptkommissarin Dorn wiederum gilt aufgrund eines tückischen Komplotts als mordverdächtig; die beiden unfreiwilligen Schicksalsgefährtinnen werden also von gleich zwei Seiten gejagt und müssen außerdem einen Terroranschlag verhindern.

Das Drehbuch stammt nach einer Pause von drei Filmen wieder von Mathias Schnelting. Er hat damit fünf der bislang zwölf "Helen Dorn"-Episoden geschrieben; alle waren mindestens sehenswert. Die Inszenierung besorgte Sebastian Ko. Der Regisseur hat im Rahmen des "Tatort" mit "Kartenhaus" (2016), "Wacht am Rhein" (2017) und "Mitgehangen" (2018) drei gute Krimis für den WDR gedreht, konnte dieses Niveau aber mit seinem vierten Kölner Krimi ("Weiter, immer weiter", 2019) nicht ganz halten. Sein "Helen Dorn"-Debüt war ein inhaltlich nicht sonderlich aufregender, aber immerhin fesselnd umgesetzter Ausflug der Düsseldorfer Polizistin ins Bergische Land ("Nach dem Sturm", 2019). "Atemlos" ist jedoch Kos bislang bester Film, zumal Schneltings Geschichte alles mitbringt, was ein guter Thriller braucht: die Jagd auf zwei Unschuldige, Verräter in den eigenen Reihen, unbarmherzige Gegenspieler, diverse Actionszenen - und zwischendurch dank Kriminaltechniker Weyer (Tristan Seith) auch mal kurze Momente der komödiantischen Entspannung.

Die Handlung beginnt mit einer Observierung. Der Polizei ist ein polnischer LKW mit Waffen und Sprengstoff ins Netz gegangen. Dorns Abteilungsleiter Mattheisen (Daniel Friedrich) hat polnischen Kollegen erlaubt, den Mann zu befragen, und dann geht alles ganz schnell: Bevor die Leute vom LKA eingreifen können, hat ein Killer die Polizisten und den Fahrer ermordet. Auf dem Weg zum Fluchtwagen läuft er Mona quasi in die Arme, und jetzt folgt ein Handlungsknüller auf den nächsten. Dank Dorns Hilfe kann Mona den Verbrechern entkommen; aber auch der Kommissarin. Bei einem vertraulichen Treffen erzählt Mattheisen ihr eine aberwitzig klingende Story: Ein nationalistisches Netzwerk will die Straßen Düsseldorfs von Obdachlosen, Ausländern und Junkies reinigen will. Mit dem polnischen Sprengstoff wollen die Faschisten für ein Fanal sorgen, und weil es beim LKA offenbar einen Maulwurf in hoher Position gibt, sind sie den Ermittlern immer einen Schritt voraus. Dorn findet, dass das alles schwer nach Verschwörungstheorie klingt; bis sie niedergeschlagen und Mattheisen erschossen wird. Die Tatwaffe ist ihre Dienstwaffe; die Jagd beginnt.

Bildgestaltung (Andreas Köhler), Schnitt (Dora Vajda) und vor allem die Musik (Olaf Didolff) sorgen dafür, dass "Atemlos" bis auf ganz wenige kurze Ausnahmen nun nicht mehr zur Ruhe kommt. Dazu passt die Zuspitzung der Hauptfigur. Nach dem Anschlag im Lokal steht Dorn unter der Dusche, um sich das Blut abzuwaschen. Normalerweise sind solche Bilder gern auch erotisch aufgeladen, aber die Kamera zeigt vor allem ihre Tätowierungen; auf diese Weise verdeutlicht Ko den Status der Frau als Kriegerin. Anna Loos verkörpert Helen Dorn ohnehin stets betont verschlossen und ungeschminkt; diesmal wirkt sie als "Last Man Standing" auch dank diverser Actionszenen womöglich noch härter als sonst. Weil ihr von seiner schweren Verletzung (aus der Episode "Prager Botschaft", 2018) genesener Vater (Ernst Stötzner) eine neue Freundin hat und nicht ans Telefon geht, sind die Polizistin und die zwischenzeitlich aufgestöberte Mona auf sich allein gestellt. Entsprechend wichtig war die Besetzung der jungen Partnerin. Valerie Stoll macht ihre Sache ausgezeichnet, zumal sich Schnelting für Mona einen plausiblen biografischen Hintergrund ausgedacht hat. Der Autor hat schon mit "Gnadenlos" (2017) gezeigt, wie gut es der Reihe tut, wenn es neben Dorn eine zweite weibliche, aber deutlich jüngere Rolle gibt (damals von Caroline Hartig verkörpert).

Außerdem ergänzt das Drehbuch die Handlung um weitere interessante Figuren. Lina Wandel stellt als kühle leitende LKA-Beamtin einmal mehr ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis. In einem raren Moment menschlicher Wärme leert sie gemeinsam mit dem Kollegen Bosch ein Glas Single Malt auf Mattheisens Wohl. Der Zielfahnder ist ebenfalls eine Bereicherung, zumal Johann von Bülow diesen Mann, mit dem Dorn mal was hatte, ziemlich cool verkörpert. Einzig der sinistre Gegenspieler ist auf Anhieb als Schurke zu erkennen; Thomas Lawinky hat schon eine Vielzahl ähnlich zwielichtiger Gestalten verkörpert. Trotzdem hat selbst diese Figur zwei Gesichter. In seiner herausragenden Qualität könnte "Gnadenlos" auch nach einem Drehbuch des mehrfachen Grimme-Preisträgers Holger Karsten Schmidt entstanden sein. Ein größeres Kompliment lässt sich fast nicht machen; dazu passt auch der grimmige Humor, mit dem Schnelting das Finale beendet. Bei einigen Bildern dürfte die Jugendschutzbeauftragte des ZDF – sofern sie sich den Film angeschaut hat – jedoch geschluckt haben. In einer Szene wird ein Obdachloser mit Benzin überschüttet, der Killer droht, den Mann anzuzünden, wenn die anderen nicht verraten, wo sich Mona versteckt; das kann selbst erwachsenen Zuschauern an die Nieren gehen.