Silvester-Einsatz: Drogenberater besuchen junge Koma-Trinker

Alkoholflaschen im Vordergrund, Jugendliche von hinten zu sehen, im Hintergrund.
Foto: epd
Silvester-Einsatz: Drogenberater besuchen junge Koma-Trinker
Bei Alkoholvergiftungen von Jugendlichen kommen die Suchtberater in Marburg direkt ans Krankenhausbett - dort haben sie größere Chancen, mit ihren Ratschlägen und Warnungen durchzudringen. "Wir nutzen die Phase der Betroffenheit", erklärt die Klinik.

Silvester ist nicht gerade der beliebteste Bereitschaftsdienst bei Jana Becker und ihren Kollegen. In der Regel müssen sie an solchen Feiertagen mindestens einen Jugendlichen im Marburger Klinikum besuchen - weil er eine Alkoholvergiftung hat.

Dann rücken die Mitarbeiter der Sucht- und Drogenberatung des Diakonischen Werks (DW) Marburg-Biedenkopf an und versuchen, mit dem Jugendlichen und am besten gleich auch mit seinen Eltern zu reden. "Silvester bringt natürlich häufig den Druck einer großen Erwartungshaltung mit sich, dass der Abend besonders toll sein muss", sagt die Sozialarbeiterin Becker. Daher schieße so mancher Jugendlicher über die ursprünglich geplante Konsummenge hinaus. "Außerdem sind hier auch oft die Eltern nicht so streng, was das Weggehen und Feiern der eigenen Kinder betrifft, da es ja schließlich um Silvester geht." 

560 Jugendliche am Krankenbett besucht

Seit zehn Jahren gibt es im Landkreis Marburg-Biedenkopf das Projekt "HaLT - Hart am LimiT", das exzessiven Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen verhindern will. In dieser Zeit besuchten die Sucht- und Drogenberater insgesamt 560 Jugendliche - direkt am Krankenbett.

Vor dem Projekt wurden Kinder mit Alkoholvergiftung möglichst schnell von ihren Eltern aus der Klinik wieder abgeholt, sagt der Direktor der Marburger Kinderklinik, Rolf Maier, in einem Gespräch zur Bilanz des Programms. Ratschläge der Ärzte, eine Beratungsstelle aufzusuchen, verdrängten sie. "Jetzt nutzen wir die Phase der Betroffenheit auf der Intensivstation. Da sind sie noch empfänglich für Beratung", sagt der Mediziner. "Es ist ein schambesetzter Moment."

2012 kamen in Deutschland rund 26.000 Jugendliche mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus, jetzt gehen die Zahlen etwas zurück. Trotzdem waren es 2017 noch 21.700 Fälle. Das Gehirn eines 15-Jährigen, erklärt Maier, sei noch nicht fertig, sondern erst mit 20 bis 22 Jahren ausgereift. In der sensiblen Entwicklungsphase "ist es besonders anfällig für jede Art von Giftstoffen".


Auch entstehe bei Jugendlichen viel schneller eine Abhängigkeit als bei Erwachsenen, ergänzt der Leiter der Sucht- und Drogenberatung beim DW, Dieter Schmitz. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen empfiehlt deshalb: Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollten überhaupt keinen Alkohol trinken. Mehr als 200 Krankheiten seien im Zusammenhang mit Alkohol bekannt, darunter mehrere Krebsarten. 

Das "HaLT"-Programm wird bundesweit an 161 Standorten ausprobiert. Laut einer wissenschaftlichen Beurteilung ist es eine "wirksame Präventionsstrategie".

Die Erfahrung ist: Diejenigen, die eine Beratung bekamen, tauchen in den seltensten Fällen erneut in der Klinik auf. "Die meisten sind einsichtig", sagt Jana Becker. Sie erlebt aber auch immer wieder Jugendliche, "bei denen wir den Eindruck haben, dass mehr Probleme dahinter stecken".