TV-Tipp: "Käse und Blei"

Altmodischer Fernsehapparat steht auf Tisch.
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Käse und Blei"
31.12., NDR, 17.55 Uhr und 23.05 Uhr
Der Titel ist viel zu schlicht für diese Komödie, die nicht allein wegen ihrer Kürze von nur knapp dreißig Minuten außerordentlich kurzweilig ist: "Käse und Blei" erzählt von einem Silvesterabend, der komplett aus dem Ruder läuft. Die Kunst des Drehbuchs von Robert Löhr besteht darin, die Dinge nur ein bisschen auf die Spitze zu treiben, um sie eskalieren zu lassen: ein ganz normaler Ehestreit, ein verunglückter Heiratsantrag, ein falsch interpretiertes Ultraschallfoto.

Der Film beginnt mit dem Absturz eines Christbaums. Leidtragender ist ein Mann, der sich einige Stockwerte tiefer gerade eine Zigarette anzünden will. Die eigentliche Handlung setzt fünf Stunden vorher ein. Sie beginnt damit, dass Maike und Sören (Anneke Kim Sarnau, Oliver Wnuk) ihrem Sohn Theo erzählen, wen sie alles eingeladen haben. Die Gäste werden dabei im Bild vorgestellt, Eltern und Kind steuern eine kurze Einschätzung bei: Maikes Schwester Inka (Nikola Kastner) und ihr Lebensgefährte Nils (Johannes Kienast), außerdem das befreundete Ehepaar Doris und Dirk (Bettina Lamprecht, Holger Stockhaus), das zum Leidwesen von Theo seine Drillinge mitbringt. Oma Gudrun (Barbara Schöne), Maikes Mutter, ist bereits da, aus Sörens Sicht allerdings eher geduldet als wirklich willkommen. Theoretisch könnte es trotzdem ein schöner Abend werden, aber schon während der Vorbereitungen liegt eine spürbare Spannung in der Luft. Der Haussegen hängt gründlich schief, was sich prompt auf die Tischgespräche auswirkt: Jedes Thema führt umgehend zu einer Grundsatzdiskussion.

Schon allein wegen der zudem vortrefflich vorgetragenen Dialoge wäre "Käse und Blei" eine Empfehlung wert. Für die akustische Ebene steht gewissermaßen der erste Titelteil, denn es gibt Raclette. Der zweite steht für Action: Es wird keineswegs nur gegessen und geredet, sondern auch Blei gegossen, und nun schlägt die große Stunde von Nils; genauer gesagt schlägt sie ihm, denn der arme Mann ist ein Tollpatsch vor dem Herrn, dem ständig irgendwelche Missgeschicke unterlaufen. Er will das Bleigießen nutzen, um Inka einen Antrag zu machen. Die Aktion ist clever eingefädelt, endet jedoch mit einem Fiasko. Inka wiederum wartet auf eine günstige Gelegenheit, um Nils eine frohe Botschaft kund zu tun, was die Dinge zusätzlich kompliziert: Nils will keine Kinder, sie will nicht heiraten. Derweil veranstaltet der Nachwuchs von Doris und Dirk im Colarausch Chaos im Kinderzimmer. Es dauert nicht lange, dann kommt es auch zwischen ihren Eltern zum großen Krach.

Angesichts der Kürze des mit großem Aufwand inszenierten Films ist die Ereignisdichte natürlich nicht weiter verwunderlich, aber Felix Koch gelingt es auf fast schon wundersame Weise, die vielen zum Teil bizarren Ideen trotzdem nicht wie eine Nummernrevue wirken zu lassen. Dafür sorgen unter anderem die Tempowechsel. Beim großen Augenblick des Antrags steigt die Spannung wie im Krimi, aber zwischendurch gibt es auch Momente, in denen die Geschichte zur Ruhe kommt und Sören, der sich eine Diät verpasst hat, trotzig an seinen Reiswaffeln mümmelt. Wnuks nuanciertes Spiel ist nah an der Perfektion, weil ihm oftmals nur eine kleine Bewegung (ein kaum merkliches Kopfnicken) genügt, um große Wirkung zu erzielen. Die Slapstickszenen sind perfekt auf den Punkt inszeniert, sodass sie weder grotesk noch übertrieben wirken; so was passiert halt mal, und an diesem Abend eben häufiger als sonst. Selbst eine ausgiebige Kotzerei gegen Ende – der sparsame Sören war der Meinung, die offenbar uralten Garnelen seien noch genießbar – ist zwar eklig, aber auch ungemein witzig. Der Humor ist jedoch nicht nur handfest, sondern auch tiefschwarz: Gudrun identifiziert ihr Stück Blei nach dem Wasserbad eindeutig als Tumor identifiziert, was zu einem grotesken Missverständnis führt. Am Ende landet die gesamte Gruppe im Krankenhaus und muss sich zu allem Überfluss auch noch die makabren Scherze eines Arztes (Kailas Mahadevan) anhören. Kein Wunder, dass Oma der Meinung ist, letztes Jahr sei’s irgendwie netter gewesen.